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Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Titel: Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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hin.
    Das Fleisch war schön braun. Es musste schon seit mindes-tens einer Stunde schmoren.
    Miss Gawl hatte gesagt, Miss Tanty würde sich ausruhen, was sich vermutlich auf ein Schlafzimmer im Obergeschoss bezog.
    Ich kehrte abermals in die Diele zurück.
    »Hallo, Quentin«, hörte ich den Papagei im Plauderton sagen. Das dämliche Vieh hatte wahrscheinlich kapiert, dass ich es hatte füttern wollen, und wollte sich jetzt bei mir einschmeicheln. Zu spät, mein Freund!
    Versöhnlichkeit gehört nicht unbedingt zu meinen Vorzügen.
    Die Treppenstufen waren so lackiert, dass sie wie Klaviertasten aussahen, die Trittflächen schwarz und die Setzstufen dazwischen weiß.
    Ich stieg die ansteigende Tastatur langsam hoch und betrachtete dabei die vielen schwarz gerahmten Fotos, die links und rechts an der Wand hingen: Miss Tanty in jungen Jahren, wie sie im langen Abendkleid auf einer Bühne steht und singt, die Hände vor dem ausladenden Bauch gefaltet; Miss Tanty, wie ihr von einem mürrisch dreinblickenden Herrn, dessen Miene verrät, dass er den Preis lieber jemand anderem verliehen hätte, ein Pokal überreicht wird; Miss Tanty vor einem mittelalterlichen Fachwerkhaus, das irgendwo in Deutschland hätte stehen können; Miss Tanty, die einen Mädchenchor dirigiert, der einheitlich – Miss Tanty inbegriffen – in Schuluniform gekleidet ist: Pullover, Bluse und schwarze Kniestrümpfe; Miss Tanty in der Mitte der vordersten Chorgestühlreihe von St. Tankred, und daneben – gerade noch zu erkennen – Mr. Collicutts blond gelockter Hinterkopf vor der Orgel. Hoch oben unscharf im Hintergrund das geschnitzte Gesicht des heiligen Tankred.
    Er blutet nicht.
    Oben angekommen, wandte ich mich nach rechts, zu dem Zimmer, das zur Straße ging. Eine Miss Tanty schlief bestimmt nicht nach hinten raus.
    Die meisten Türen im Obergeschoss standen offen, nur eine einzige, nämlich die zu dem bewussten Zimmer zur Straße, war geschlossen.
    Ich öffnete sie und streckte die Nase ins Zimmer.
    Die gebirgige Miss Tanty lag mit auf der Brust gefalteten Händen reglos im Bett. Zwar thronte die Brille mit den dicken Gläsern auf ihrer Nase, aber die Augen waren geschlossen.
    Ich huschte auf Zehenspitzen näher.
    Dass sie nicht schnarchte, beunruhigte mich ein bisschen. Miss Tanty schien mir jemand zu sein, der keine halbe Sachen machte, weshalb ich davon ausging, dass sie keine leise Schläferin war. Andererseits konnten ausgebildete Sängerinnen ihr Zäpfchen womöglich sogar im Schlaf kontrollieren – diesen kleinen Fleischfinger, der wie ein kleiner rosiger Eiszapfen ganz hinten im Gaumen hängt.
    Schlief Miss Tanty denn überhaupt? Oder hatte jemand sie abgemurkst? War Mr. Collicutts Mörder zum zweiten Akt zurückgekehrt? Brachte da jemand ganze Chöre um, immer einen nach dem anderen? Würde Feely die Nächste sein?
    Alle diese Gedanken schwirrten mir gleichzeitig durch den Kopf.
    Die dunkle Flasche, die auf einem zwischen Bett und Wand gezwängten, überfüllten Bücherregal stand, hatte ich bereits erspäht. Als ich mich über das Bett beugte, um sie zu inspizieren, öffnete Miss Tanty träge ein Auge.
    Ich hätte vor Schreck beinahe meine Zunge verschluckt.
    Das von den flaschenbodendicken Linsen vergrößerte wässrige Auge erschien so riesig, als wäre plötzlich ein blutunterlaufener Erntemond aufgegangen.
    Sie blinzelte und öffnete das andere Auge, das noch erschreckender aussah als das erste. Die Pupillen wanderten in der suppigen Flüssigkeit hin und her und richteten sich schließlich auf mich.
    Sie schien sich gar nicht zu wundern, mich zu sehen. Es war fast, als hätte sie auf mich gewartet.
    »Ich … ich bin einfach reingekommen. Ich wollte nachschauen, wie es Ihnen geht«, sagte ich rasch. »Ich hab mir Sorgen um Sie gemacht.«
    Miss Tantys massiger Leib erbebte unter stummen Erschütterungen, die von ihren Schultern und dem üppigen Busen ausgingen und sich nach unten fortsetzten, bis sie an den Fußgelenken verebbten. Ich musste, wenn auch nur flüchtig, an Mrs. Mullets missglückte Sülzen denken.
    »Tatsächlich«, sagte sie, und es war nicht als Frage gemeint.
    Ich begriff nicht gleich, dass sie lachte. Ihre Wangen wackelten heftig, sie biss sich auf die Unterlippe, und ihre riesigen feuchten Augen glitten wie wild in den Höhlen hin und her.
    Es war ein gruseliger Anblick.
    »Ha!«, schnaufte sie. »Was du nicht sagst!«
    Sie wälzte sich auf die Seite und griff nach der Flasche auf dem Regal. Nachdem sie den

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