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Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Titel: Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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war unrasiert, und die Stoppeln auf seinen Wangen glitzerten mitleidlos. Er hatte noch nie so alt ausgesehen.
    »Das hat mir der Vikar von ganz allein erzählt«, sagte ich. »Ich habe ihn nicht danach gefragt.«
    Die Küchenuhr tickte. Vater stieß einen langen Seufzer aus.
    »Ich kann dich nicht richtig sehen«, sagte er nach einer Weile. »Meine Augen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Hol doch bitte eine Kerze aus der Vorratskammer. Lass das Deckenlicht aus.«
    Ich holte einen Messingkerzenhalter und eine Schachtel Streichhölzer, dann saßen wir einander im flackernden Schein der Wachskerze gegenüber.
    »Denwyn und Cynthia hatten es nicht leicht«, sagte Vater.
    »Nein«, stimmte ich ihm zu. Mir wurde allmählich klar, dass die beste Unterhaltung manchmal darin bestand, zuzuhören und gar nichts zu sagen, und wenn doch, sich auf Worte zu beschränken, die mit einer Silbe auskamen.
    »Er gibt sich die Schuld daran«, sagten Vater und ich gleichzeitig.
    Nicht zu fassen! Er und ich hatten im selben Augenblick dieselben fünf Worte gesprochen – als hätten wir unisono einen Text aufgesagt.
    Ich traute mich nicht zu lächeln.
    »Stimmt«, sagten wir dann gleich noch mal wie aus einem Mund.
    Es war richtig unheimlich.
    Bis dahin hatte Vater nur ein einziges Mal mit mir geredet, ich meine, richtig geredet, und das war, als er in Hinley im Gefängnis gesessen hatte, weil er des Mordes an Horace Bonepenny verdächtigt wurde. Damals hatte er erzählt, und ich hatte zugehört.
    Diesmal redeten wir beide gleichzeitig.
    »Es war einfach nur ein dummer Unfall, so einfach und dumm, wie ein Unfall nur sein kann. Tragisch. Trotzdem blieb einem unter den gegebenen Umständen nichts anderes übrig, als weiterzumachen. Es herrschte Krieg. Jeder musste auf die eine oder andere Weise Verluste verkraften. Es war sehr schwer für die beiden, ihr kleines Mädchen zu verlieren.«
    »Warst du hier, als es passierte?«, fragte ich und erschrak selbst über mich. Woher nahm ich auf einmal diesen Mut?
    Ein Schatten verfinsterte Vaters Gesicht. Die Uhr tickte.
    »Nein«, antwortete er dann. »Ich war nicht hier.«
    Wie ich sehr wohl wusste, hatte er damals mit Dogger in Kriegsgefangenschaft gesessen, ein Thema, über das auf Buck-shaw nicht gesprochen wurde.
    Wirklich seltsam, dachte ich: Da gab es vier große Trauernde – Vater, Dogger, den Vikar und Cynthia Richardson –, und sie weigerten sich allesamt, auch nur ein Quäntchen ihres Kummers mit jemandem zu teilen, nicht einmal untereinander sprachen sie darüber.
    War Kummer letztendlich eine Privatsache? Ein verschlossener Behälter? Etwas, das man wie einen Eimer Wasser nur auf einer Schulter tragen konnte?
    Und um alles noch schlimmer zu machen, hatte das ganze Dorf jeden der vier in einen Kokon des Schweigens gehüllt.
    Diese lieben, elenden Menschen! Sowohl diejenigen, die den Segen sprachen, als auch diejenigen, die ihn empfingen!
    Als mir wieder einfiel, dass ich mir geschworen hatte, in aller Öffentlichkeit Blumen auf Hannah Richardsons Grab zu legen, stieg mir das Blut in die Wangen.
    Aber damit wollte ich Vater nicht behelligen. Er hatte auch so schon genug Sorgen.
    »Was sollen wir bloß mit dir machen?«, fragte er plötzlich.
    »Keine Ahnung, Sir«, antwortete ich. Das »Sir« überraschte mich selbst. So hatte ich meinen Vater noch nie angeredet, aber in diesem Augenblick schien es mir einfach passend. »Es ist nur … na ja … manchmal kommt es mir vor, als sei ich meiner … meiner Mutter sehr ähnlich.«
    Da! Jetzt war es raus!
    Ich konnte nur noch abwarten, welchen Schaden ich damit angerichtet hatte.
    »Du bist deiner Mutter nicht ähnlich, Flavia.«
    Auf diesen Tiefschlag hin musste ich erst einmal schlucken.
    »Du bist genau wie deine Mutter. «
    In meinem Kopf ging es drunter und drüber, wie in einem Bienenstock, einem Tornado, einem tropischen Wirbelsturm. Hatten meine Ohren das tatsächlich gehört? In den letzten Jahren hatten mir meine Schwestern immer wieder einreden wollen, ich sei nur adoptiert: ein Wechselbalg, ein Kohlebrocken, den ihnen ein hinterhältiger Weihnachtsmann in die am Kamin aufgehängten Strümpfe gesteckt hatte.
    »Ich wollte schon länger mal mit dir darüber reden.« Vater zappelte herum, als suchte er etwas in den Taschen seines Morgenmantels. »Da kann ich es ebenso gut jetzt gleich erledigen.«
    Mein Kinn zitterte. Was kam jetzt?
    Würde er mir eine Standpauke halten, weil ich meinen Sonntagsmantel ruiniert hatte?
    »Ich

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