Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
wissen.
»Es geht um Mr. Collicutt. Genau genommen ist es eine eher persönliche Angelegenheit. Ich würde lieber drinnen mit Ihnen darüber sprechen, wo niemand zuhören kann.«
Zweiter Schritt: Gib dem anderen zu verstehen, dass deine Botschaft sowohl geheim als auch brisant ist.
»Hmmm …«, machte sie zögerlich.
»Ich möchte auch nicht, dass mich jemand hier sieht«, setzte ich mit gesenkter Stimme hinzu und sah mich verstohlen nach links und rechts um, als hielte ich nach Beobachtern Ausschau.
»Komm rein«, befahl sie, und eine fleischige Hand löste sich aus der Finsternis hinter der Tür und winkte mich hinein.
Nach der Helligkeit draußen dauerte es ein paar Sekunden, bis sich meine Augen umgestellt hatten, aber dann sah ich mich der Dame des Hauses von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Oder zumindest von Angesicht zu Halb-Angesicht. Ihre andere Gesichtshälfte verbarg sich immer noch im Schatten.
Ich hatte Mrs. Battle zwar schon ab und zu im Dorf gesehen, aber immer nur aus der Ferne, und gesprochen hatte ich mit der Frau noch nie. Von Nahem war sie größer, als ich sie in Erinnerung hatte, und auch rotgesichtiger.
»Also?«
»Genau genommen …«, sagte ich und benutzte den Ausdruck damit schon zum zweiten Mal.
So wie sein Geistesbruder »ehrlich gesagt« müsste ein »genau genommen« eigentlich jedem ins Gesicht schreien, dass das, was folgte, eine unverfrorene Lüge sein würde. Aber dem war nicht so.
»Genau genommen …«, sagte ich zum dritten Mal, »geht es um meine Schwester Feely … äh, Ophelia.«
»Ja und?«
Das Auge im Dämmerlicht weitete sich. So weit, so gut. Ich hatte die gesamte Unterredung bereits im Geiste durchgespielt, als ich von Buckshaw ins Dorf geradelt war.
Ich trat scheinbar verlegen von einem Fuß auf den anderen und ließ den Blick argwöhnisch in der dunkel getäfelten Diele umherschweifen, als fürchtete ich mich immer noch vor Lauschern.
»Meine Schwester … sie will heiraten, wissen Sie, und es gibt da gewisse Briefe …«
Daffy hatte uns mal einen französischen Roman vorgelesen, dessen Handlung sich um dergleichen drehte.
Ich hielt die Luft an und strengte mich an, ein rotes Gesicht zu bekommen, auch wenn es hier im Dämmerlicht wahrscheinlich vergebliche Liebesmüh war.
»Mr. Collicutt …«, schob ich nach.
»Briefe, hast du gesagt? Verstehe. Und die möchtest du jetzt zurückhaben.«
Einfach so!
Ich biss mir auf die Lippe und nickte.
»Für deine Schwester.«
Ich nickte wieder und versuchte mich zu entsinnen, wie man verzweifelt aussieht.
»Das ist ja lieb von dir«, sagte sie. »Wirklich rührend. Du hast deine Schwester wohl sehr gern.«
Ich wischte mir eine fiktive Träne weg und trocknete den Finger umständlich an meinem Rock ab.
Das gab den Ausschlag.
»Auch wenn es nicht viel helfen dürfte.« Sie deutete auf die Treppe. »Die Polizisten haben schon alles gründlich durchsucht.«
»Wie schrecklich! Feely wird einfach sterben, wenn sie das hört!«
Als ich es sagte, überkam mich ein seltsames Gefühl.
Niemand starb »einfach«.
Mr. Collicutt beispielsweise war von Mörderhand gestorben – da war ich mir inzwischen absolut sicher. Anschließend hatten ihn die Täter mitsamt der Gasmaske (oder hatten sie ihm das Ding erst später aufgesetzt?) über den Friedhof und durch den langen lehmigen Tunnel geschleift, um ihn zu guter Letzt durch eine enge Wandöffnung in eine Kammer über der Gruft eines längst verstorbenen Heiligen zu befördern.
»Einfach« konnte man das nun wirklich nicht nennen.
»Die haben alles auf den Kopf gestellt, der Inspektor Wasweißich und seine Bande. Von Aufräumen war danach natürlich keine Rede. Das Ganze war ein echter …«
»Schock«, warf ich ein.
»Du nimmst mir das Wort aus dem Mund. Ein echter Schock.«
Ich ließ ein paar Sekunden der Stille vergehen, in der wir uns beide als Schwestern im Schmerz annähern konnten.
»Hoffentlich geht es Ihnen inzwischen wieder besser«, sagte ich dann. »Miss Tanty meinte, Sie seien eine wahre Heilige, weil Sie sie immer zu ihren Arztterminen und so weiter fahren. Sie haben ein großes Herz, Mrs. Battle.«
»Wird wohl so sein, wenn du’s sagst.«
Nicht mal der heilige Franz von Sales, dessen letztes Wort auf dem Sterbebett »Bescheidenheit« war, hätte ein solches Kompliment von sich gewiesen.
»Ich hatte an dem Tag einen kleinen Migräneanfall«, fuhr Mrs. Battle unaufgefordert fort. »Ich habe Miss Tanty nur sehr ungern im Stich gelassen, aber
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