Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
– jetzt ist jetzt. Ich habe darüber nachgedacht. Vielleicht war ich ein bisschen voreilig.«
Mehr an Entschuldigung durfte ich von Feely nicht erwarten, weder in diesem noch in einem nächsten Leben.
»›Dumme alte Seekuh‹!« Feely schüttelte den Kopf. »Du hättest ihr Gesicht sehen sollen! Ich dachte schon, ihr passiert ein Malheur auf unserem Teppich.«
Wenn sich meine Schwester mal gehen ließ, konnte sie erstaunlich derb sein.
»Gern geschehen«, erwiderte ich und schwelgte in dem unerwarteten Dank. Ich wollte das Gefühl so lange wie möglich auskosten.
Nach diesem jähen Ende unserer Feindseligkeiten sprudelte ich vor Zuneigung geradezu über und hätte Feely am liebsten sofort die Neuigkeit überbracht, dass in ihren Adern womöglich das Blut eines Heiligen floss. Und ihr außerdem von der armen kleinen Hannah Richardson erzählt, von Cassandra Cottlestones Grab und von meiner Bekanntschaft mit Jocelyn Ridley-Smith.
Ich hätte sie am liebsten umarmt, so wie ich Daffy umarmt hatte, und nie mehr losgelassen.
Aber ich brachte es nicht über mich. Man hätte den Eindruck haben können, als wären wir beide als Nordpole desselben Magneten auf die Welt gekommen, als müssten wir eigentlich gleich sein, und stießen uns letztendlich aber doch immer wieder voneinander ab – bis ans Ende unserer Tage von einer geheimnisvollen, unsichtbaren Kraft voneinander ferngehalten.
»Wann soll die Beerdigung sein?«, fragte ich lahm.
»Kommenden Dienstag. Wenn wir Ostern hinter uns haben.«
Ich war erstaunt, dass meine fromme Schwester einen der höchsten kirchlichen Feiertage offenbar »hinter sich haben« wollte, ging aber nicht näher darauf ein. Allmählich lernte ich, zumindest in Bezug auf Feely, auch mal den Mund zu halten.
»Wird er aufgebahrt?«, erkundigte ich mich.
Natürlich war das meine heimliche Hoffnung. Ich würde Mr. Collicutt lieber ohne Gasmaske in Erinnerung behalten.
»Bloß nicht!«, antwortete Feely. »Der Vikar ist kein Freund offener Särge. Er ist sogar strikt gegen diese Sitte. Bei der Gottesdienstordnung für Begräbnisse steht die Auferstehung im Vordergrund, nicht der Tod. ›Ich bin die Auferstehung und das Leben, spricht der Herr.‹ «
»Da kommt es wahrscheinlich nicht so gut, wenn mittendrin eine Leiche mit einem Pokerface liegt«, sagte ich.
»Flavia!«
»Apropos Pokerface – ich hab in der Kirche Miss Tanty getroffen.«
Dass bei unserer Begegnung Blut vom Dachgebälk getropft war, erwähnte ich nicht.
»Hat sich schon zu mir rumgesprochen«, erwiderte Feely.
Mist! Hatte man in diesem Dorf denn überhaupt kein Privatleben?
Aber wer hatte es ihr erzählt? Der Vikar bestimmt nicht, und Adam Sowerby schon gar nicht. Sie kannte den Mann ja nicht mal. Die verrückte Meg kam noch weniger in Frage.
Feely war meine perplexe Miene nicht entgangen.
»›Der erfolgreiche Organist‹«, zitierte sie, »›braucht lange Finger, um an die Register zu reichen, lange Beine, um an die Pedalklaviatur zu reichen, und lange Ohren, um ins Privatleben eines jeden Chormitglieds zu reichen.‹ Whanley über die Orgel und ihre Annehmlichkeiten, dreizehn, ›Die Führung der Choristen‹. Genau genommen habe ich diese Weisheit von den Lippen Jesabels persönlich vernommen.«
»Wen meinst du mit Jesabel?«
Ich hatte mir zwar vorgenommen, Feely nach Miss Tanty auszuhorchen, hatte aber nicht damit gerechnet, dass die Informationen schon hervorsprudelten, ehe ich überhaupt nachgebohrt hatte.
»Das ist dir doch bestimmt auch aufgefallen!«, sagte Feely. »Wie sich diese beiden alten Harpyien, Miss Moon und Miss Tanty, immer rausgeputzt haben und um den armen Mr. Collicutt herumscharwenzelt sind. Sie haben sich ihm förmlich zu Füßen geworfen! Es war das reinste römische Wagenrennen.«
»Und bis über die Ohren parfümiert waren sie auch!«, setzte ich eifrig hinzu. »Strohfeuer und Sommerabend in Malden Fenwick.«
» Eifersucht«, ergänzte Feely, und ich fragte mich, warum ich mich eigentlich nicht öfter mit meiner Schwester unterhielt.
Unser Lachen verebbte jedoch gleich wieder, wie so oft, wenn die Heiterkeit nur künstlich war, und wir standen einander in verlegenem Schweigen gegenüber.
»Warum hat Miss Tanty wohl ›Vergib mir, o Herr‹ gerufen, als sie das Blut gesehen hat?«
Ich ging inzwischen davon aus, dass Miss Tanty Feely auch von dem Blut erzählt hatte.
»Weil sie immer im Mittelpunkt stehen muss. Sogar dann, wenn ein Heiliger blutet.«
»Mir hat sie gesagt, sie
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