Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
das Schlauchende ins Ohr.
» … wir beide haben in der Schule des Öfteren vertrauliche Gespräche geführt, bevor sie den Beruf an den Nagel gehängt hat …«, hörte ich Miss Moon sagen, » … damals, als wir noch zivilisiert miteinander umgehen konnten.«
Mir fiel wieder ein, dass Miss Tanty Miss Moons Vorgängerin auf St. Agatha gewesen war.
»Auch wenn du’s nicht glauben willst – es ist meine Pflicht und Schuldigkeit, dich darüber in Kenntnis zu setzen, dass sie, wie meine Mädels sich ausdrücken würden, bis über beide Ohren in Crispin verschossen war.
Jetzt mach nicht so ein entsetztes Gesicht, Ophelia! Ja, vom Alter her hätte sie seine Mutter sein können, aber wie du inzwischen wissen dürftest, soll man die Lebenslust eines Soprans niemals unterschätzen.«
Für meine Ohren – besser gesagt: für mein Ohr, denn der Gummischlauch steckte ja nur in einem meiner beiden Ohren – klang Miss Moon eher verärgert als am Boden zerstört.
»Ich will einfach nicht, dass diese Frau auf Crispins Beerdigung ein Solo singt! Die verschmähte Möchtegern-Geliebte beträllert die sterblichen Überresten ihres Angebeteten – das kommt nicht infrage! Schlag dir das aus dem Kopf, Ophelia. Nein, ich werde dieses Amt übernehmen. Ich denke da an Purcells ›Wenn ich in der Erde liege‹ aus Dido und Aeneas . Ja, das passt wunderbar. Ich begleite mich selbst und singe von der Orgelbank aus, du brauchst das Stück also nicht einzustudieren. – Schon gut, du brauchst dich nicht bei mir zu bedanken. Du hast dieser Tage bestimmt selber genug um die Ohren … Wie schade um Buckshaw! Ich habe das Schild am Tor gesehen. Unerhört, so was. Aber man muss immer nach vorn schauen. Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass du bald Grund zum Feiern hast. Wir freuen uns ja alle so für dich, Ophelia, ehrlich. Wie heißt er doch gleich, der Bursche von der Culverhouse Farm? Victor? Ich hab’s ja gewusst, dass du und Victor eines Tages …«
Das ging jetzt aber zu weit!
Ich hob den Glastrichter auf, rammte ihn wieder in den Schlauch und brüllte hinein: »Dieter! Er heißt Dieter, du dumme alte Seekuh!«
Was hatte ich getan? Hatte ich in einem unbeherrschten Augenblick den letzten Rest De-Luce-Würde zerstört? Schüttelte der heilige Tankred in der Kirche jetzt sein hölzernes Haupt in blutiger Fassungslosigkeit darüber, dass eine seiner Nachfahrinnen sich so dämlich aufführte?
Ich hielt den Trichter ans Ohr. Nichts als Stille.
Dann knallte eine Tür.
Kurz darauf hörte ich Absätze über Kaminfliesen klappern, und dann grapschte jemand nach dem anderen Ende meines Gummischlauchs.
Feelys gedämpfte, verzerrte Stimme drang wie die einer zornigen Elfe aus dem kleinen Schalltrichter in meiner Hand.
»Ich hasse dich!«
20
W ie war es nur möglich, dass in ein und demselben abgelegenen Dorf sowohl eine Miss Tanty als auch eine Miss Alberta Moon gleichzeitig existierten? Mathematisch betrachtet hätte die Vorsehung sie eigentlich an entgegengesetzten Enden des Landes platzieren müssen – die eine in Land’s End und die andere in John o’Groats.
Dieser Gedanke ging mir durch den Kopf, als ich mit Feelys zusammengeknotetem, rußgefülltem Bettlaken die Westtreppe hinunterging. Ich wollte das Laken auf dem Visto ausschütteln, wo der Regen den Ruß irgendwann wegwaschen würde. Ein frisches Laken hatte ich bereits im Schrank gefunden und Feelys Bett ordentlich neu bezogen. Das schmutzige Laken würde ich in meinem Labor auswaschen, in meinem Zimmer trocknen lassen und später wieder in den Schrank räumen. Niemand würde etwas merken.
Am Fuß der Treppe stand Feely und klopfte mit dem Fuß auf den Boden.
Am liebsten hätte ich kehrtgemacht und wäre geflohen. Aber meine Beine waren plötzlich schwer wie Blei. Früher oder später hätte sie mich sowieso erwischt. Ich konnte ihr nicht lange aus dem Weg gehen. Also konnte ich die bittere Pille auch gleich schlucken und die Sache hinter mich bringen.
Als ich zaghaft die letzte Stufe nahm, stürzte sie sich auf mich.
Ich ließ das rußige Laken fallen und hielt mir die Augen zu.
Sie packte mich an den Schultern. Gleich würde sie mir die Luft aus den Lungen quetschen und mir die Rippen brechen, so wie die klobigen amerikanischen Ringkämpfer, die wir im Kino in der Wochenschau gesehen hatten.
»Du warst toll!«, sagte sie und drückte mich fest. »Vielen Dank!«
Ich machte mich ungläubig los.
»Aber vorhin hast du mich doch noch gehasst!«
»Das war vorhin
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