Flavia de Luce Halunken Tod und Teufel
und sich wahrsagen lassen wollten. Lunita wollte nicht den Eindruck erwecken, sie würde Profit aus dem Krieg schlagen. Ich werde nie vergessen, wie ich sie weinend im Bad fand. ›Die armen Jungs!‹, schluchzte sie. ›Alle wollen nur eines wissen: Komme ich lebendig wieder nach Hause? ‹«
»Und was hat sie den Soldaten erzählt?«
»›Du kehrst ruhmreicher zurück, als du gegangen bist‹, war ihr Standardspruch für eine halbe Krone pro Mann.«
»Wie traurig«, sagte ich.
»Traurig? Nein, das waren damals die schönsten Tage unseres Lebens. Wir wussten es bloß nicht. Im Kasino trieb sich ein Offizier herum, ein großer Kerl mit einem kleinen blonden Schnurrbart. Ich habe ihn auf der Straße gesehen, wenn er kam oder ging. Er hat nie viel gesagt, aber er hatte etwas Lauerndes. Eines Tages lud ihn Lunita aus Jux ein und legte ihm die Karten. Es war Sonntag, deshalb verlangte sie kein Geld von ihm.
Ein paar Tage darauf arbeitete sie für M-I-Irgendwas. Was sie auch in den Karten gesehen hatte, sie hatte wohl den Nagel auf den Kopf getroffen. Irgendjemand im Ministerium, der herausfinden wollte, was Hitler als Nächstes plante, hatte von der Zigeunerin erfahren, die in Moorgate Karten legte.
Lunita wurde zum Mittagessen ins Savoy eingeladen. Anfangs war es wohl eher ein Spiel, vielleicht sollte sich ja herumsprechen, dass sich die Engländer aus lauter Verzweiflung auf eine Wahrsagerin verließen.
Aber wieder kam das, was sie ihnen erzählte, der streng geheimen Wahrheit so nahe, dass die Männer ihren Ohren nicht
trauten. Sie vermuteten, Lunita sei eine Spionin und ließen extra einen Fachmann aus Bletchley Park nach London kommen, um sie zu vernehmen. Sie sagte dem Mann auf den Kopf zu, dass er großes Glück hätte, dass er noch am Leben war, und dass eine Krankheit ihn gerettet hätte.
Genau so war es gewesen. Er war den Amerikanern gerade als Verbindungsoffizier zugeteilt worden, als ihn eine Blinddarmentzündung daran hinderte, an einer Übung für die Landung in der Normandie teilzunehmen. »Manöver Tiger« hieß das damals. Das Ganze war schlecht vorbereitet – Hunderte von Soldaten kamen dabei um. Die Geschichte wurde selbstverständlich totgeschwiegen. Der Offizier war völlig von den Socken. Lunita bestand den Test mit Glanz und Gloria, und bald darauf – beziehungsweise nach ein paar Stunden – saßen wir in einer schicken neuen Wohnung in Bloomsbury.
»Deine Mutter besitzt offenbar erstaunliche Fähigkeiten«, sagte ich.
Porcelain sank in sich zusammen. »Besaß«, erwiderte sie tonlos. »Sie starb einen Monat danach. Eine VI-Rakete schlug auf der Straße vor dem Luftfahrtministerium ein. Das war vor sechs Jahren. Im Juni.«
»Mein Beileid«, sagte ich. Porcelain und ich hatten etwas gemeinsam, und sei es auch nur, dass unsere Mütter viel zu früh gestorben waren und uns allein gelassen hatten.
Wie gern hätte ich ihr von Harriet erzählt – aber ich brachte es nicht über mich. Es hätte ausgesehen, als wollte ich meinen Kummer mit ihrem messen.
Stattdessen machte ich mich daran, die Reagenzglasscherben aufzusammeln.
»Lass mich das aufheben«, sagte sie.
»Schon gut«, erwiderte ich. »So was passiert mir öfter.«
Ich mag keine Ausreden, aber ich konnte ihr wohl kaum die Wahrheit sagen: dass ich die Dinge lieber eigenhändig in Ordnung brachte.
Ist das ein Vorgeschmack darauf, wie es ist, eine Frau zu sein?, überlegte ich.
Ich hoffte es … und auch wieder nicht.
Wir saßen auf meinem Bett. Porcelain lehnte sich an das Kopfteil, ich hockte im Schneidersitz am Fußende.
»Bestimmt willst du deine Oma bald wieder besuchen«, sagte ich.
Porcelain zuckte die Achseln, was ich irgendwie verstehen konnte.
»Die Polizei weiß noch nicht, dass du hier bist. Es ist wohl besser, wenn wir ihnen Bescheid geben.«
»Wahrscheinlich.«
»Wir können aber auch bis morgen früh damit warten. Ich bin jetzt zu müde zum Nachdenken.«
Ich konnte die Augen kaum noch offen halten, war einfach zu erschöpft, um mich noch weiter mit irgendwelchen Problemen zu befassen. Das allergrößte Problem war, Porcelains Anwesenheit in unserem Haus geheim zu halten. Es wäre wirklich das Letzte gewesen, wenn Vater auch noch die Enkelin von Fenella und Johnny Faa fortjagte.
Fenella lag im Krankenhaus von Hinley und konnte ebenso gut längst tot sein. Wenn ich herausbekommen wollte, was es mit dem Überfall auf sie – und mit dem Mord an Brookie Harewood – auf sich hatte, musste ich mich
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