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Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie

Titel: Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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hätte … dabei hatte ich gar keinen gegessen.
    Als ich um vier Uhr morgens durch die Küche gegangen war - kurz bevor ich über die Leiche im Gurkenbeet stolperte -, hatte der Kuchen noch vom Vortag zum Abkühlen auf dem Fensterbrett gestanden. Und es hatte ein Stück gefehlt.
    Das fehlende Stück, das Puzzleteil, das zur Lösung des Rätsels beitragen konnte?
    Wer hatte es sich abgeschnitten? Mir fiel wieder ein, dass ich mich sogar darüber gewundert hatte. Es war weder Vater gewesen noch Daffy oder Feely. Diese drei hätten lieber Würmer in Rahmsoße auf Toast als Mrs Mullets schauderhaftes Schmandmachwerk gegessen.
    Auch Dogger konnte es nicht gewesen sein. Naschen passte nicht zu ihm. Und wenn Mrs Mullet ihm das Stück gegeben hätte, hätte sie nicht angenommen, dass ich es gegessen hatte.
    Ich ging nach unten in die Küche. Der Kuchen war weg.
    Das Fenster war noch genauso hochgeschoben, wie Mrs Mullett es hinterlassen hatte. Hatte sie den übrigen Kuchen mit nach Hause zu ihrem Alf genommen?
    Ich erwog schon, sie einfach anzurufen und zu fragen, aber da fielen mir wieder Vaters strenge Telefonregeln ein.
    Vater gehörte noch der Generation an, die »das Instrument«, wie er den Apparat nur nannte, verabscheute. Er hatte sich nie recht mit dem Gerät angefreundet und konnte nur im äußersten Notfall bewogen werden hineinzusprechen.
    Ophelia hatte mir erzählt, dass sogar die Nachricht von Harriets Tod per Telegramm hergeschickt werden musste, weil Vater sich weigerte, etwas zu glauben, das er nicht schwarz auf weiß in Händen hielt. Jedenfalls durfte das Telefon auf Buckshaw nur benutzt werden, wenn das Haus in Flammen stand oder jemand im Sterben lag. Jede andere Benutzung des »Instruments« bedurfte Vaters persönlicher Genehmigung,
eine Regel, die man uns seit dem Tag, an dem wir aus unseren Kinderbettchen gekrabbelt waren, eingebläut hatte.
    Nein, die Frage an Mrs Mullet würde ich auf den nächsten Tag verschieben müssen.
    Ich holte einen Laib Brot aus der Speisekammer, schnitt eine dicke Scheibe ab, schmierte Butter drauf und streute eine dicke Schicht braunen Zucker drüber. Dann klappte ich das Brot zweimal zusammen und drückte es jedes Mal mit der flachen Hand fest zusammen. Anschließend schob ich das Ganze in den Backofen und ließ es so lange drin, wie es dauert, drei Strophen von dreimal »Backe, backe Kuchen« zu singen.
    Es war zwar kein richtiges Rosinenhefebrötchen, aber es musste für diesen Abend genügen.

10
    O bwohl wir de Luces schon Katholiken waren, seit Wagen rennen im Circus Maximus der letzte Schrei waren, hielt uns das nicht davon ab, St. Tankred zu besuchen, die einzige Kirche in Bishop’s Lacey und ein unerschütterliches Bollwerk der anglikanischen Kirche.
    Für diese unsere Gunst gab es mehrere Gründe. Zum einen kam uns die räumliche Nähe und somit die bequeme Erreichbarkeit von St. Tankred entgegen, zum anderen waren sowohl Vater als auch der Vikar (wenn auch zu verschiedenen Zeiten) in Greyminster zur Schule gegangen. Abgesehen davon war die Weihung einer Kirche, wie Vater uns einmal erklärt hatte, so dauerhaft wie eine Tätowierung. St. Tankred, sagte er, war vor der Reformation eine römisch-katholische Kirche gewesen, und in seinen Augen blieb sie das auch.
    Deshalb marschierten wir ausnahmslos jeden Sonntagmorgen im Gänsemarsch querfeldein. Vater hieb ab und zu mit seinem Malakka-Spazierstöckchen in die Vegetation, ihm folgten Feely, Daffy und ich (und zwar in dieser Reihenfolge), und Dogger bildete in seinem besten Sonntagsstaat die Nachhut.
    In St. Tankred schenkte uns niemand auch nur die geringste Beachtung. Vor einigen Jahren hatten sich etliche Gemeindemitglieder beschwert, aber eine strategisch wohlplatzierte Spende für die Restaurierung der Orgel hatte den Unmut ohne Blutvergießen und blaue Flecken alsbald beschwichtigt.
    »Sagen Sie Ihrer Gemeinde doch bitte, dass wir vielleicht
nicht direkt mit ihnen beten«, hatte Vater den Vikar gebeten, »dass wir aber auch nicht ausdrücklich gegen sie beten.«
    Einmal, als Feely den Kopf verlor und nach vorn zur Kommunion ging, sprach Vater bis zum nächsten Sonntag kein Wort mehr mit ihr. Seit damals raunte er ihr, wenn sie in der Kirche auch nur mit den Füßen scharrte, zu: »Ruhig, altes Mädchen, gaaanz ruhig.« Er brauchte sie dabei nicht anzusehen. Der Anblick seines Profils, das dem eines Standartenträgers in einer besonders asketischen römischen Legion glich, genügte, um uns in Zaum zu halten.

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