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Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag

Titel: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag
Autoren: Alan Bradley
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ähnlich jenen, die ich an den Füßen des Kindes auf der Türschwelle gesehen hatte.
    Allerdings war dieses Paar Dunlops lehmverschmiert. Der Lehm war noch feucht vom morgendlichen Regen.
    Oder vom Grab.
    Als ich nun ins Freie rannte, erhaschte ich gerade noch einen Blick auf den marineblauen Matrosenanzug, bevor er hinter dem Traktorschuppen verschwand. Ich wusste, dass sich hinter den rostigen Wellblechwänden ein ganzes Labyrinth aus weiteren baufälligen Baracken erstreckte, von denen jede ein ganzes Dutzend Verstecke bot.
    Wie ein Hund, der Witterung aufgenommen hat, machte ich mich an die Verfolgung.

    Dann blieb ich unvermittelt stehen. Hinter dem Traktorschuppen führte ein schmaler Durchgang nach rechts. War der Flüchtige dort hineingerannt, um mich abzuschütteln? Ich schob mich durch den engen Gang und gab Acht, dass ich das Wellblech zu beiden Seiten nicht streifte. Ein einziger Kratzer von den aufgebogenen, rasiermesserscharfen Kanten würde so gut wie sicher eine Blutvergiftung nach sich ziehen. Man würde mich an ein Krankenhausbett fesseln, wo ich mit Schaum vor dem Mund und von knochenbrecherischen Krämpfen geschüttelt mein Leben aushauchen würde.
    Wie würden Daffy und Feely sich da freuen!
    »Ich hab dir ja gesagt, dass es mit ihr kein gutes Ende nehmen wird«, würde Daffy zu Vater sagen. »Man hätte sie niemals frei rumlaufen lassen sollen.«
    Darum schob ich mich im Krebsgang zentimeterweise voran. Als ich das Ende des Durchgangs erreicht hatte, stellte ich fest, dass mir der Weg nach links von einem Stapel zerbeulter Benzinfässer verstellt wurde, der Weg nach rechts von einem Schweinestall, in dem Brennnesseln wucherten.
    Auf dem Rückweg durch die Todesgasse, die mir noch enger vorkam als auf dem Hinweg, blieb ich stehen und spitzte die Ohren, aber bis auf das ferne Glucken der Hennen und meine eigenen Atemzüge war nichts zu hören.
    Auf Zehenspitzen tappte ich zwischen den baufälligen Baracken umher und war aufs Äußerste angespannt, weil ich damit rechnete, dass sich jeden Augenblick etwas aus einem dunklen Eingang auf mich stürzen würde.
    Erst jetzt fielen mir die Fußspuren auf, winzige Abdrücke, die nur vom Waffelmuster der Sohle eines Kindergummistiefels herrühren konnten.
    Sämtliche Sinne auf Alarmstufe Rot, folgte ich den Spuren.
    Sie führten mich am Traktorschuppen vorbei, vorbei an der rostigen Karosserie eines uralten Treckers, der bedenklich Schlagseite hatte. Da ihm ein Hinterrad fehlte, sah er aus, als
wäre er halb im Sand versunken wie eine Maschine aus grauer Vorzeit, die das Meer wieder ausgespuckt hatte.
    Ich trabte nach links und stand vor dem Taubenschlag, der wie ein Märchenschloss vor mir aufragte und dessen fleckige Backsteine im Abendlicht wie golden besprenkelt aussahen.
    Beim letzten Mal war ich auf einem anderen Weg hergekommen. Jetzt schlich ich um das Gemäuer herum zur klapprigen Tür, und schon stieg mir wieder der beißende Taubenmistgestank in die Nase.
    Vielleicht hab ich mich ja geirrt, dachte ich. Vielleicht war der Junge im Matrosenanzug am Turm vorbeigerannt und in die Felder geflohen. Aber die Fußspuren besagten etwas anderes - sie führten geradewegs zur Tür des Taubenschlags.
    Etwas strich mir am Bein entlang. Mir blieb vor Schreck fast das Herz stehen.
    »Je-au!«, sagte eine Stimme.
    Es war Tock, die gesprächigere von Inglebys Katzen.
    Ich legte warnend den Finger auf die Lippen, doch dann fiel mir ein, dass Katzen keine Zeichensprache verstehen. Vielleicht aber doch, denn ohne einen weiteren Laut von sich zu geben, duckte sich Tock und verschwand im Taubenschlag.
    Nach kurzem Zögern ging ich hinterher.
    Drinnen sah alles aus, wie ich es in Erinnerung hatte: die Lichtstrahlen, die durch die Ritzen des alten Mauerwerks drangen, die klaustrophobische Enge, die staubgeschwängerte Luft. Diesmal jedoch drang keine schaurige Totenklage aus dem Verschlag über mir. Im Taubenturm war es so still wie in der Gruft unter dem Stammschloss von Gevatter Tod persönlich.
    Ich setzte einen Fuß auf das Gerüst und spähte nach oben ins Dämmerlicht, in dem sich die Streben verloren. Das Holz ächzte unheilverkündend. Ich hielt inne. Wer auch immer - oder was auch immer - sich über mir im Schummerlicht aufhielt, wusste jetzt, dass ich ihn in die Enge getrieben hatte.

    »Hallo!«, rief ich, in erster Linie, um mir selbst Mut zu machen. »Hallo! Ich bin’s, Flavia. Ist da oben jemand?«
    Das einzige Geräusch, das zu mir herunterdrang, war das
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