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Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag

Titel: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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Genie.
    Von Anfang bis Ende hatte er uns alle in der Hand, als wäre er der Riese und das Publikum wäre Jack. Er brachte uns zum Lachen und zum Weinen, manchmal sogar beides gleichzeitig. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen.
    Tausend Fragen gingen mir dabei durch den Kopf: Wie konnte Rupert das Licht, die Geräusche, die Musik und das Bühnenbild gleichzeitig bedienen, obwohl er mehrere Marionetten führte und alle Stimmen sprach? Wie ließ er die Bohnenranke wachsen? Wie konnten sich Jack und der Riese eine wilde Verfolgungsjagd liefern, ohne dass sich ihre Schnüre ineinander verhedderten? Wie ging die Sonne auf? Wie der Mond?
    Mutter Gans hatte recht: Die Bohnen waren tatsächlich Zauberbohnen, denn sie hatten uns alle verzaubert.
    Aber jetzt nahte das Ende. Jack kletterte die Bohnenranke wieder hinunter, die Säcke mit Gold und Silber an den Gürtel gebunden. Der Riese war ihm auf den Fersen.
    »Halt!«, brüllte die Stimme des Riesen. »Bleib stehen, du Dieb!«
    Noch ehe Jack den Boden erreicht hatte, rief er nach seiner Mutter.
    »Mutter, Mutter, hol die Axt!«, schrie er, nahm der Mutter, kaum dass er wieder im Garten stand, die Axt aus der Hand und hackte wie wild auf die Bohnenranke ein. Die Pflanze schien zurückzuweichen, als litte sie Schmerzen.
    Die Musik schwoll zu einem dramatischen Höhepunkt
an, und einen Augenblick lang schien die Zeit stillzustehen. Dann sackte die Bohnenranke in sich zusammen und der Riese krachte zu Boden.
    Er landete dicht vor dem Häuschen, der mächtige Oberkörper überragte das Dach, die Augen starrten glasig in die Dunkelheit über unseren Köpfen. Der Riese war mausetot.
    Die Kinder kreischten auf - sogar ein paar Eltern sprangen von den Stühlen.
    Natürlich war es nur Galligantus, das beinlose Ungetüm, das mir Rupert schon vor der Aufführung vorgeführt hatte. Dennoch hatte ich mir nicht vorstellen können, wie schreckenerregend sein Sturz und sein Tod waren, wenn man das Ganze aus der Publikumsperspektive verfolgte.
    Mein Herz klopfte wie rasend. Es war einfach grandios!
    »Und so starb der grausame Riese Galligantus«, sagte Mutter Gans. »Irgendwann wurde es seiner Frau über den Wolken langweilig, und sie suchte sich einen anderen Riesen, den sie heiratete. Jack und seine Mutter, die nun reicher waren, als sie es sich jemals hätten träumen lassen, lebten, wie alle anderen guten Menschen, glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Und dies wird auch euch beschieden sein, euch allen; da bin ich sicher.«
    Jack wischte sich beiläufig die Hände an der Hose ab, als wäre es etwas völlig Alltägliches, einen Riesen zu töten.
    Der rote Vorhang schloss sich ruckelnd, und urplötzlich brach im Gemeindesaal die Hölle los.
    »Das war der Teufel!«, kreischte eine Frau. »Der Teufel hat den Kleinen geholt und eingeschrumpft, Gott steh uns bei! Der Teufel war’s!«
    Als ich mich umdrehte, sah ich jemanden in der offenen Saaltür stehen. Es war die verrückte Meg. Sie fuchtelte in Richtung Bühne, dann schlug sie die Hände vors Gesicht. Im selben Augenblick ging die Saalbeleuchtung wieder an.
    Der Vikar war im Nu bei ihr.

    »Nein! Nein!«, kreischte sie. »Kümmern Sie sich nicht um die alte Meg! Lasst mich alle in Ruhe!«
    Irgendwie gelang es ihm, ihr den Arm um die Schulter zu legen und sie in die Gemeindesaalküche zu führen, wo man sie noch einen Augenblick lang heiser zetern hörte: »Der Teufel! Der Teufel! Der Teufel hat den armen Robin geholt!«
    Stille senkte sich über den Saal. Die Eltern schoben ihre Kinder - die allesamt verstummt waren - zu den Ausgängen.
    Die Frauen vom Frauenkomitee räumten hier und da eher ziellos auf und zogen sich dann zurück - um zu tratschen, wie ich stark annahm.
    Ich war allein.
    Nialla schien verschwunden zu sein, obwohl ich sie nicht hatte gehen sehen. Da man hinter der Bühne gedämpftes Gebrummel vernahm, stand Rupert vermutlich noch auf der Brücke seiner Puppenbühne.
    Da kam ich auf die Idee, mir die Gesetze der Physik zunutze zu machen. Wie schon erwähnt, hatten die Architekten des 19. Jahrhunderts den Innenraum des Saals als idealen Klangkörper konstruiert. Die großen Flächen der dunkel lackierten Wandvertäfelung nahmen das kleinste Geräusch auf und verstärkten es vorbildlich. Als ich mich mitten in den Saal gestellt hatte, spitzte ich die Ohren und konnte mit einem Mal jedes einzelne Wort verstehen. Ich hörte Rupert in lautem Flüsterton sagen: »Verdammt noch mal! Verdammt noch mal, Nialla!«
    Nialla

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