Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag
Gedanken in Worte zu fassen, »aber das hast du inzwischen wahrscheinlich schon selbst gemerkt.«
Ich nickte stumm, um sie nicht zu unterbrechen. Von Inspektor Hewitt hatte ich gelernt, dass Schweigen der beste Gesprächsbeschleuniger war.
»Er kommt schon seit Jahren immer wieder mal auf der Culverhouse Farm vorbei, schon seit lange vor dem Krieg. Und Rupert ist nicht der Einzige, musst du wissen. Gordon versorgt eine regelrechte kleine Armee von solchen Leuten mit einem schmerzstillenden Mittel.«
»Bhang«, entfuhr es mir. »Ganja … indischer Hanf … Cannabis.«
Sally sah mich mit zusammengekniffenen Augen an und redete dann weiter.
»Manche, so wie Rupert, kommen vorbei, weil sie früher mal Kinderlähmung hatten - Polio, wie es heute heißt -, andere aus weiß Gott welchen Gründen. Gordon hält sich nämlich für einen Naturheilkundler oder so was, für jemanden, der dabei hilft, die Leiden zu lindern, gegen die die Ärzte nichts tun können oder wollen. Er ist sehr verschwiegen, was das betrifft, aber das muss er ja wohl sein. Von dir abgesehen hat, glaube ich, in ganz Bishop’s Lacey noch niemand Verdacht geschöpft, dass die Wanderer und anderen Fremden, die ab und zu in der Culverhouse Farm einkehren, sich keineswegs
verlaufen haben. Manche verkaufen angeblich landwirtschaftliches Zubehör.
Ich bin jetzt seit acht Jahren hier«, fuhr Sally fort. »Und bevor du mich fragst: Die Antwort lautet: Nein - ich gehöre nicht zu Gordons Rauchern.«
»Hatte ich auch nicht erwartet.« Das war ein bisschen anbiedernd, erfüllte aber seinen Zweck.
»Ich stamme aus einem guten Elternhaus«, fuhr sie schon munterer fort. »Meine Eltern waren ›arm, aber ehrlich‹, wie es in den alten Groschenromanen so schön heißt. Meine Mutter war immerzu krank, aber sie wollte uns nicht sagen, was ihr fehlte. Nicht einmal mein Vater wusste es. Derweil ging ich in die Schule, erwarb eine gewisse Grundbildung, und dann kam der Krieg.
Natürlich wollte ich meinen Teil dazu beitragen, dass wir Ärzte und Medikamente bezahlen konnten, deshalb habe ich mich bei der WLA, der Frauen-Landarmee gemeldet. Das war das Einfachste. Ich war bloß ein Mädel aus Kent, das gegen Adolf Hitler kämpfen und dafür sorgen wollte, dass seine Mutter wieder gesund wurde.
Zusammen mit ungefähr vierzig anderen Mädchen wurde ich in einem Quartier der ›Land Army‹ zwischen hier und Hinley untergebracht. Zu der Zeit sah ich Rupert zum ersten Mal. Der Mann wirkte auf Frauen wie Nektar auf Bienen, da täusch dich mal nicht. Jeden Sommer zog er mit seinem kleinen Marionettentheater durchs Land - zurück zu seinen Wurzeln, wie er es nannte -, und jedes Mal, wenn ich ihn sah, hatte er eine neue Gehilfin. Und jedes Mal war die Betreffende bildhübsch.
Bald nachdem ich auf die Culverhouse Farm gekommen war, tauchte Rupert dort auf, um sich Nachschub zum Rauchen zu holen. Ich erkannte den kleinen hinkenden Burschen sofort, der uns am Wochenende immer im Gasthof oder in der Kneipe anquatschte.
Ich hatte mir von Anfang an geschworen, mich auf keinen
Fall mit ihm einzulassen. Ich wollte es den anderen Mädchen überlassen, ihn ein bisschen zurechtzustutzen. Aber dann …«
Ihr Blick verlor sich in längst vergangene Zeiten.
Nialla hatte also doch recht gehabt! Am Tag ihrer Ankunft war Rupert tatsächlich losgezogen, um Sally zu suchen. Allmählich fügten sich die Einzelteile zusammen.
Inzwischen hatte sich der Nebel zwar ein wenig gelichtet, doch er hüllte Sally und mich immer noch in einen dunstigen Kokon ein, der unsere Stimmen schluckte und in dem ich mich seltsam geborgen fühlte. Niemand ahnte, dass wir uns hier befanden, es sei denn, er wäre zufällig über uns gestolpert. Niemand konnte uns belauschen, es sei denn, er wäre das ganze Feld vom Flussufer heraufgekommen oder hätte sich heimlich aus dem Wald hergeschlichen.
»Ja, Rupert war ein Charmeur, das kann man wohl sagen«, erzählte Sally weiter. »Er konnte … nein, das ist zu unanständig. Er konnte jedenfalls einen ganzen Hühnerhof verrückt machen - vor allem die Hennen.
Er fing immer mit Shakespeare an und ging dann zu irgendwelchen Varietéstücken über. Falls Romeo und Julia nicht zum Ziel führte, probierte er es mit seinen anzüglichen Liedchen.
Und er kam damit durch - jedenfalls meistens. Bis er es bei Gordons Frau probierte.«
Bei Grace Ingleby? Ich stieß unwillkürlich einen Pfiff aus.
»Das muss schon ziemlich lange her sein«, sagte ich. Es klang abschätzig;
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