Flederzeit - Riss in der Gegenwart (Historischer Roman): 2 (German Edition)
zweijähriges Kind?“
„Zwischen zweiundneunzig und achtundneunzig.“ Die Frau hatte keinen Moment überlegen müssen, ehe sie antwortete. „Aber wenn Sie wollen, dass er nächsten Winter auch noch passt, nehmen sie einen in hundertvier.“
Matthias nickte.
„Einmal hundertvier“, rief die Frau, sah ihn dann an. „Junge oder Mädchen?“
„Junge“, antwortete Matthias laut.
Die Frau lachte, als gleich darauf eine Packung angeflogen kam und Matthias fast am Kopf erwischte. „Aufpassen, sonst wird man hier abgeschossen.“
Der gelieferte Schneeanzug war rot mit gelben Teddybären. „Geht der wirklich für einen Jungen?“, fragte er seine Modeberaterin.
„Der ist nie verkehrt“, nickte die Frau. „Sie werden sehen, Ihr Kleiner wird darin sehr süß aussehen.“
Davon war Matthias auch überzeugt. Ein rot-gemusterter Ilya zwischen all den naturbelassenen Grau- und Brauntönen des Mittelalters würde in der Tat sehr süß aussehen. Zufrieden legte er den erbeuteten Schneeanzug in seinen Wagen. Jetzt noch schnell zum Kühlregal, dann aber nichts wie weg hier!
Sein Hochgefühl hielt noch eine Weile vor, doch je weiter er sich Bichlbächle näherte, desto mehr kroch ihm wieder sein Elend in die Knochen. Drei Wochen lang hatte er bereits vergeblich nach Fledermäusen gesucht. Und genau jetzt, nachdem er sich eine Frist gesetzt hatte, kaufte er etwas, was er wohl niemals brauchen würde. Reichte nicht, was er bisher in den Rucksack gestopft hatte? Niemals würde er Lebensmittel und Getränke für weitere drei Tage dazupacken können.
Wobei – das musste er ja auch gar nicht. Machte es denn einen Unterschied, ob er fünf, drei oder einen Tag lang nach etwas suchte, das es gar nicht gab? Morgen würde er noch einmal in die Höhle zurückkehren, nochmal überall nach den Fledermäusen suchen – und dann aufgeben. Unwiderruflich.
Vergangenheit – Heuert, Anno 1293
So ganz ohne Gepäck brauchte Mila nicht allzu lange, bis sie die abgestorbene Eiche und damit die Weggabelung erreicht hatte.
Ob sie es wagen und einen kleinen Abstecher zu ihrer alten Hütte machen könnte? Nur ganz kurz? Seit sie damals mit Ilya und Mattis ihre Habe hatte zusammenpacken wollen, war sie nicht mehr da gewesen. Oft hatte sie überlegt, ob sich wohl jemand anderes dort eingenistet hatte?
Kurzentschlossen wandte sie sich bergab und lief den vertrauten Trampelpfad entlang.
Es war nicht weit. Da vorne lag sie schon. Die Hinterfront an den Grashang geschmiegt, vorne der Schuppen, dann die kleine eingezäunte Koppel, daneben der Stall ... Oh ja, sie spürte es noch: ihr erstes eigenes Zuhause. Johann zu verdanken, an den sie nicht so gern denken wollte. Aber mit der Zeit – mit Ilyas Geburt, seinem Heranwachsen, mit Ado und Brigitte und Till – war die Hütte auch allmählich ihr Eigen geworden.
Unbewohnt sah sie aus. Türe und Fensterläden waren geschlossen, der Pferch leer, aus dem Stall drang kein Laut – hielt ihr dämonischer Ruf etwa noch immer die Leute fern?
Mila war langsam nähergetreten, hatte gerade die Hausecke erreicht – als sie aufhorchte. Da war etwas. Droben am Berg. Getrappel, schnell näher kommend und begleitet von sich lösenden Steinchen.
Ohne nachzudenken schlüpfte sie um die Ecke und verbarg sich hinter dem Schuppen. Reckte vorsichtig den Kopf – und erkannte zwei Männer sich mit aufgeregten Rufen und Sprüngen bergab bewegen. Blond und grau, eindeutig die beiden Höhlenwächter. In augenscheinlich heller Panik stürzten sie den schmalen Pfad herunter, drängten sich gegenseitig zur Seite, um sich zu überholen, stolperten, rappelten sich wieder auf, rannten weiter.
Milas Blick wurde von einer weiteren kleinen Gerölllawine oben am Hang abgelenkt. Die Pferde! Das kleine helle und das größere dunkelbraune. Hatten sie die noch losgebunden? Um sie dann ihrem Schicksal zu überlassen. Unsicher schnaubend und scharrend stelzten sie vorwärts, sie vermissten ganz eindeutig die Führung ihrer Herren.
Mattis , war sofort wieder in Milas Kopf. Was, wenn Mattis doch angekommen ist? Und eine wunderbar furchteinflößende Waffe mitgebracht, mit der er die Wachen in die Flucht geschlagen hat? Und ihnen die Pferde hinterher geschickt, weil er natürlich viel zu anständig ist, um sie zu stehlen?
In gebannter Erwartung blieb Mila vorsichtshalber noch so lange unsichtbar, bis auch die Pferde an ihr vorbei und außer Sicht waren. Dann postierte sie sich auf der anderen Seite der Hütte,
Weitere Kostenlose Bücher