Fleisch ist mein Gemüse
Aus seinem Blick sprachen Ekel, Fassungslosigkeit und tiefste Verachtung. Es war der Wirt. «SAG MAL, HAST DU DEN LETZTEN SCHUSS NICHT GEHÖRT?» Spuckeflocken stoben aus seinem Mund, und einen Moment befürchtete ich, er könne vor Hass ohnmächtig werden. Dann stürzte er wieder hinaus. Zuerst wusste ich gar nicht, was er meinte, aber mein Typ war hier offenbar nicht gefragt. Ich packte mein Instrument wieder ein und begab mich in den Saal, wo ich stumm wie ein Fisch wartete.
Kurz vor dem Soundcheck wurde ich zum so genannten
Einrauschen
kommandiert. Ich weiß nicht, wo Gurki den Unsinn aufgeschnappt hatte, mir jedenfalls erklärte er, durch das
Einrauschen
werde die Anlage auf die akustischen Gegebenheiten der jeweiligen Räumlichkeit justiert. Ich musste mich dazu mit einem Mikrophon in die Mitte des Saales stellen und es hochhalten. Eigentlich hätte man es auch auf ein Stativ schrauben können, aber das traute ich mich nicht zu sagen, ich hatte ja schließlich die ganze Zeit nur herumgesessen. Jetzt musste ich eben auch mal etwas tun! Dann drehte Gurki die Anlage auf, die lediglich
sehr laut
rauschte. Gurki machte sich am Equalizer zu schaffen. Minutenlang schraubte er an den Knöpfen herum und blickte dabei immer wieder misstrauisch in den Saal. Das Rauschen blieb völlig konstant. Gurki schraubte weiter. Das Rauschen war nach wie vor
sehr laut,
und mir taten langsam die Arme weh. Gurki schraubte und schraubte und schraubte. Unvermittelt hörte er auf. «Hast sehr gut gemacht, Heinzer. Spitzensound hab ich uns da gezaubert.»
Nach ungefähr zwei Jahren stellte er das Einrauschen von einem Tag auf den anderen ein. Seine überraschende Erklärung: «Braucht man gar nicht. Das ist in Wahrheit Quatsch.»
Nach dem Soundcheck ging es endlich zum Essenfassen. Wir betraten die Gaststube, hinter deren Tresen der Wirt Bier zapfte und bei meinem Anblick sofort wieder in äußerste Erregung geriet. «SAG MAL, SO WAS HAB ICH JA ÜBERHAUPT NOCH NICHT ERLEBT!»
Ich hatte die Kollegen noch nicht aufgeklärt.
«Wieso, was ist denn?»
«WAS IST, WAS IST! FRAG IHN DOCH MAL.» Angewidert deutete er auf mich.
«DER HAT DOCH DEN LETZTEN SCHUSS NICHT GEHÖRT.»
Ich war froh, dass er nicht noch irgendeine gemeine Bemerkung über meine Akne machte.
Es gab Zigeunerschnitzel mit Pommes und vorweg einen Wildsalat mit einer Art Gulasch. Eine dreifache Fleischmahlzeit! Fleisch im Fleisch im Fleisch. Auch in den kommenden zwölf Jahren sollten wir von der Küche dieses Hauses nicht durch unnötige Experimente verunsichert werden. Auf das
Gasthaus Peters
war kulinarisch zu einhundert Prozent Verlass. Lediglich in der Soße wechselte hin und wieder der Anteil an Paprika und Zwiebeln. Nach dem Essen folgte der zweite Höhepunkt des Abends: der
Zerhacker
. Ein Zerhacker ist ein verdauungsfördernder Schnaps, wie etwa der von Jens und Norbert präferierte Fernet Branca. Die andere, aus Torsten und mir bestehende Fraktion trank lieber Aquavit, meist wurde
Jubi
, der Jubiläumsaquavit, ausgeschenkt. Gurki hängte sein Mäntelchen in den Wind und trank mal dies, mal jenes. Jägermeister galt damals als ausgesprochenes Proletengetränk und wurde daher von uns verschmäht. Ouzo gibt’s nur beim Griechen und ist kein Zerhacker. Metaxa ist auch kein Zerhacker! Und Sambuca auch nicht!
Zum Umziehen gingen wir in das Kabuff, wo sich, dem Geruch nach zu urteilen, schon viele tausend Menschen erbrochen hatten. Wie immer beäugten wir uns misstrauisch. Ob wohl wieder jemand dicker geworden war? Der körperliche Verfall schien unaufhaltsam. Meine Güte, was für ein ausladendes Becken Norbert doch hatte. Wenn die Weiber auf irgendwas nicht stehen, sind das dicke, breite Pos. Dicke Beine, na ja, dicker Bauch zur allergrößten Not vielleicht auch noch, aber ein hüftsteifer Brummkreiseltyp, unter keinen Umständen. Torstens mächtige Schenkel leuchteten fast so weiß wie meine. Wie Jens war er ein rotblonder Typ, der im Sommer nur schwer braun wurde. Beide gehörten sowieso nicht zu der Sorte Männer, die stundenlang nutzlos in der Sonne rumliegen. Gurki sah furchtbar aus mit seiner Fettplauze am ansonsten hageren Körper. Und dann die schlechte Haltung. Sein Spitzname hatte offenbar doch mit derKörperform zu tun. Warum trieb er eigentlich nicht mal Sport? So brauchte doch keiner auszusehen! Na ja, ich war der Letzte, der sich hier aufregen durfte. Für meine durch fortgesetzten Bierkonsum bereits bedenklich gewachsenen Herrentitten würde ich in
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