Fleisch ist mein Gemüse
absehbarer Zeit wahrscheinlich einen Büstenhalter benötigen. Das Ekzem pochte bei jeder Bewegung.
Fröstelnd standen wir anschließend im natürlich ungeheizten Saal herum. Kein Wirt der Welt würde für eine Tanzkapelle die Heizung anstellen! Denen soll schließlich vom Arbeiten warm werden! Wir wollten uns gerade wieder in die mollig warme Gaststube verdrücken, als ein rundlicher Mittzwanziger auf uns zugewalzt kam. Er trug zum Holzfällerhemd eine hellgrüne Krawatte, auf der ein Koch vor einer Gulaschkanone zu sehen war. Über der Gulaschkanone stand ein witziger Spruch:
Es ist noch Suppe da
.
«Einen wunderschönen guten Abend, mein Name ist Beckmann, wie geht es Ihnen?»
Gurki hatte zwei Begrüßungen drauf, eine lockere für Freunde und Bekannte («Wo geiht?») und die offizielle für Geschäftspartner und Respektspersonen: «Einen wunderschönen guten Abend, mein Name ist Beckmann, wie geht es Ihnen?» Der Suppenfan fixierte ihn mit zusammengekniffenen Augen.
«Wolter, ich bin der erste Vorsitzende. Sie sind sicher die
Tiffanys
?»
«Ja, aber nicht
Die Tiffanys
, einfach nur
Tiffanys
.»
«Jaja. Sie sind ja heute das erste Mal hier. Sie sind uns empfohlen worden. Ich hoffe, Sie enttäuschen uns nicht. Spielbeginn acht Uhr, auf jeden Fall nur zwei Tänze am Anfang, und nicht so laut.»
Wir pflegten immer schon ein paar Minuten vor acht anzufangen, damit uns wegen eventuell falsch gehender Uhren nicht hinterher ein Strick gedreht werden konnte («Was ist los, ihr Affen, ich hab genau auf die Uhr geguckt, ihr habt erst vier Minutennach acht angefangen, für jede Minute Verspätung spielt ihr entweder eine halbe Stunde länger, oder wir ziehen euch 400 Mark von der Gage ab»). Um drei Minuten vor acht also
Time is tight
, danach
Hello Dolly
. Aus dem Musical
Hello Dolly
. Eine Minute Pause.
«Country roads, take me home,
To the place I belong,
West Virginia, mountain mamma,
Take me home, country roads.»
Das vierte Stück des Tanzabends war meist vom total versauten Roland Kaiser.
«Manchmal möchte ich schon mit dir
Diesen unerlaubten Weg zu Ende gehen,
Manchmal möchte ich so gern mit dir
Hand in Hand ganz nah an einem Abgrund stehen,
Manchmal möchte ich so gern mit dir
Eine Nacht das Wort Begehren buchstabieren usw.»
Der Kaiser unter den Schlagerstars war der ungekrönte König der Schweinigeleien. Mein Lieblingstitel von ihm war Joanna, gesprochen Dschoänna:
«Joanna, geboren, um Liebe zu geben,
Verbotene Träume erleben,
Ohne Fragen an den Morgen danach,
Aha, aha, Joanna, dein Lächeln ist fordernd und flehend,
Mit dir all die Wege zu gehen,
Die ein Mann allein nie findet.»
Um halb neun hockten erst ungefähr fünfzig Landjugendliche lustlos an ihren Tischen. Niemand machte Anstalten zu tanzen, und es war immer noch kalt. Die Mädchen hatten sich ziemlich aufgebrezelt, während die jungen Männer so aussahen, als ob sie gerade vom Melken kämen. Die meisten trugen völlig ausgetretene Wildlederhalbschuhe, eher so eine Art Masse, eine Wildledermasse, die mit dem Fuß zusammengewachsenzu sein schien. Wurstfüße. Dazu hatten die meisten der Jungbauern Jeans oder Breitcordhosen in den Modefarben blau und braun angezogen, Holzfällerhemden und darunter weiße T-Shirts , eine hygienische Maßnahme, die den Schweiß absorbieren und so den Tanzpartnerinnen einen trockenen Griff gewährleisten sollte. Unsere Musikauswahl korrespondierte mit der unaufgeregten Atmosphäre im Saal.
Schiwagomelody
,
Tief drin im Böhmerwald
,
All my loving
. Die Landjugend schwieg, trank und würdigte uns keines Blickes. Gegen neun füllte sich der Festsaal langsam. Es mochten jetzt so zweihundert Leute sein. Ich schätzte die maximale Kapazität auf vierhundert, zweifelte jedoch, dass so viele kommen würden. Dann betrat endlich das erste Paar die Tanzfläche. Wir spielten
Take it easy
von
Truck Stop
. Ein schöner Swing. Bewährte Ansage Gurki:
«Swingtime is good time, good time is better time.»
Der junge Mann trug, passend zum Stück, eine Art Strickjacke mit Rauten und Zopfmustern. Die Ärmelschoner verliehen dem Janker einen strapazierfähigen Eindruck. Seine Partnerin, Typ lebensfrohe Metzger-Azubine, war mit einem rosa Bonbonkleid bekleidet, das farblich bestens mit der pinken Ästhetik von
Tiffanys
harmonierte. Sie hatte auffallend fleischige Oberarme – in Klein Eilstorf wird die Wurst noch von Hand geschnitten – und einen starken Unterbiss.
«Take it easy, altes Haus,
mach dir
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