Fleisch ist mein Gemüse
Die
Bots
protestierten einfach gegen alles und jeden! Ihr bekanntestes Stück hieß
Aufstehen
:
«Alle, die für Frieden sind, sollen aufstehen.»
Gähn. Wie spielten ihren zweitgrößten Hit.
«Was wollen wir trinken, sieben Tage lang,
was wollen wir trinken, so ein Durst.»
Sofort wurde die Tanzfläche gestürmt. Freiheit! Die Dorfjugend fasste sich bei den Schultern, bildete einen großen Kreis und schwang rhythmisch die Beine vor und zurück. Ein Klassiker des modernen Protestsongs schien hier die ewige Hitparade anzuführen. Die heiligen
Bots
und die revoltierende Jugend Klein Eilstorf standen wie ein Mann zusammen. Gegen die Städter, den E U-Agrarterror , die Diktatur der ökologischen Landwirtschaft, höhere Dieselpreise und schlecht verarbeitete Gummistiefel. BSE und anderen neumodischen Quatsch gab es damals ja noch nicht. Gurki stierte auf das Textblatt und sang mit unbewegter Miene die brisanten Lyrics.
«Es wird genug für alle sein,
was wollen wir trinken, sieben Tage lang,
wir trinken zusammen, nicht allein.»
Der Saal war beseelt von revolutionärem Schwung. Dabei wählte Gurki in Wirklichkeit natürlich stramm CDU.
Halb drei. Ich ging auf die jetzt endgültig unbenutzbaren Toiletten, um mir den Stand der Dinge in meinem Gesicht anzugucken. Es hatte sich nichts getan. Die verbliebenen Dörfler hingen erschöpft am Tresen, als ein letztes Mal ein Ruck durch den Saal ging. Rufe wurden laut.
«Komm, Knut.»
«Komm, spiel. Spiel ihn.»
«Bitte, Knut, bitte bitte!»
Da braute sich etwas zusammen. Pfiffe und Klatschen. Völker, hört die Signale.
«Komm, mach schon.»
«Knut, spiel ihn uns.»
«Knut, spiel den Hamburger.»
Endlich löste sich ein Mann aus dem Pulk, auf den die Bezeichnung
Vogelscheuche
passte wie auf kaum einen zweiten. Er war spindeldürr und hatte den Bund seiner engen Cordhose vermittels eines Nietengürtels auf Höhe des Bauchnabels fixiert, wodurch sich seine riesigen Eier überdeutlich abzeichneten. Dazu trug er ein enges, weißes T-Shirt . Mit seiner herausgewachsenen Dauerwelle sah er aus wie der einzige Dorfschwule kurz vorm Coming-out. Ja, am nächsten Wochenende würde er es tun, er würde endlich in die Gay-Scene einer Großstadt abtauchen und im Rausch der Nacht zu sich selber finden. Knut sah mit anderen Worten unfassbar spackig aus.
«Entschuldigung, könnte ich mir mal ein Akkordeon leihen?»
Normalerweise verliehen wir keine Instrumente, aber in diesem Fall rückten wir die gute Hohner-Quetschkommode gern heraus. Hier stand etwas ganz Einmaliges bevor, das spürten wir. Knut intonierte das eingeforderte Stück, einen wohl nurin dieser Region bekannten Klassiker mit dem Titel
Hamburger
. Der Instrumentaltitel war nicht simpel, sondern richtiggehend debil. Knut ließ seine dünnen, langen Finger über die Tastatur huschen. Die infantile Melodie schien auf die Dorfjugend einen magischen Reiz auszuüben. Wieder fassten sie sich bei den Schultern und führten einen beschwörenden Tanz auf, Voodoopriester Knut in der Mitte des Saales, rundherum die in Trance geratenen Eingeborenen. Vielleicht würde ja gleich ein Menschenopfer dargebracht und anschließend ins Klein Eilstorfer Moor geworfen werden. Hoffentlich nicht
wir
!
Knut spielte zehn Minuten den
Hamburger
, ohne dass ein Ende absehbar gewesen wäre. Fünfzehn Minuten. Die Uhr schien stehen zu bleiben. Der schwule Zeremonienmeister krümmte und stauchte Raum und Zeit. Quantenmechanik, schwarze Löcher, physikalische Prozesse, die der Mensch nie wirklich begreift, wurden hier zu den magischen Klängen des
Hamburgers
für einen flüchtigen Moment subjektiv erfahrbar. Endlich brach er ab und brachte uns erschöpft das Traditionsinstrument zurück. Dieses unwirkliche Schauspiel sollte sich fortan Jahr für Jahr exakt so wiederholen. Offensichtlich schaffte Knut den Sprung in die Großstadt doch nicht, oder er kehrte jedes Jahr allein für dieses Ritual in sein Heimatdorf zurück.
Wir spielten noch
Blue Spanish Eyes,
und dann war Feierabend. Der Pommes-Stand hatte immer noch auf. Norbert und ich genehmigten uns eine Portion mit allem Drum und Dran, während Torsten und Jens sich sofort umzogen und mit dem Abbau begannen. Eine Zeit lang hatte ich wegen meiner Haut jegliche Form von Junkfood gemieden, doch ob ich mich nun ausschließlich von gedämpftem Gemüse oder von Vierfachburgern ernährte, machte bei Acne Conglobata offenbar überhaupt keinen Unterschied. Gurki ging derweil mit
Es ist noch Suppe
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