Fleisch ist mein Gemüse
–» Bullen: «Schuss!» Die Bullen sindverwirrt und erschießen alle. Und jetzt Schluss mit
BAP
. Das Stück ist eh zu Ende.
Die Stimmung kippte völlig in Hysterie um. «Zugabe, Zugabe. Mooooaaarius, Mooooaaarius.» Endlich. Die Massen waren bereit. Ein Dorfjugendball ohne die Hits von Marius Müller-Westernhagen war undenkbar. Moooaaarius war der Größte und hatte den Größten! Wir eröffneten den Moooaaarius-Set wie immer mit dem Klassiker
Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz
:
«Draußen ist es grau,
ich sitz mit dir hier, blau,
ob ich mir ein Küsschen klau,
Nun lass das doch, du alte Sau.
Liebling, lass uns tanzen, das tut dem Blutdruck gut.»
Mooooaaaarius!! Ob Moooooaaarius weiß, was los ist, wenn irgendwo seine ollen Kamellen gespielt werden? Musik wie ein warmes Bad in einer Wanne aus geschmolzener Butter. Aber Marius geht es gar nicht gut. Einsam und verbittert hockt er in seiner Riesenvilla im Hamburger Milliardärsviertel Harvestehude und blickt mit trüben Augen auf die Alster. Ab und an sieht seine Frau Romney nach dem Rechten, traut sich aber nicht, ihn anzusprechen. Sie weiß, dass sie ihrem Mann jetzt nicht helfen kann, er muss alleine wieder aus seinem Loch hinaus. Vor wenigen Jahren noch stand der hagere Zappelphillip unangefochten an der Spitze von Musikdeutschland. Er hat Stadien gefüllt, Millionen von CDs verkauft und sogar das Bundesverdienstkreuz aus den Händen des Kanzlers entgegengenommen. Und jetzt? Getriezt, gepikt und abgemolken, mit Kübeln voller Spott und Häme wurde der spindeldürre Shouter übergossen und kann sich nun aus eigener Kraft nicht mehr helfen. Während er die ganzen Jahre im mit alter Eierpappe verkleideten Übungskeller zusammen mit seinen Uraltkumpels den ewigen Siebzigerjahre-Rumpelrock probte, hat sein Erzrivale Grönemeyer ihn rechts überholt. Musikalisch, textlich und überhaupt. Dabei verfügtWesternhagen doch über so viele Talente, die Schauspielerei zum Beispiel. Wenn man nur mal an den Blockbuster
Theo gegen den Rest der Welt
oder die künstlerisch noch bessere
Aufforderung zum Tanz
denkt. Charmant und mit viel Esprit hat er dort seine Paraderolle gespielt, den ewigen Verlierer. In die Richtung muss die Reise gehen. Nötige Routine müsste er durch die Mitwirkung in einer gut eingeführten ZD F-Serie wiedererlangen, etwa in
Ein Fall für Zwei
, wo er den runzligen Sexgnom Matula endlich aufs verdiente Abstellgleis abschieben könnte, oder als Nachfolger von Förster Rombach in
Forsthaus Falkenau
. Aber nur maximal ein Jahr, denn dann ruft ohne Zweifel die große Leinwand. Und die Kraft dazu gibt ihm die Klein Eilstorfer Dorfjugend.
Er hätte mal die Reaktion auf seine nächste Hymne
Sexy
miterleben sollen:
«Sexy, was hast du bloß aus diesem Mann gemacht.
Sexy, das tut dem alten Mann doch weh!
Sexy, du lässt ihn deine hohen Stiefel lecken usw.»
Body tumulto! Schmelztiegel
Landgasthaus Peters
, hier wird verschmolzen, was zusammengehört. Aber auch, was nicht zusammengehört. Wildfremde Menschen liegen sich in den Armen, Hitze, Hysterie, Handgemenge, um nur drei Worte mit H zu nennen, Gewaltphantasien, sexuelle Energien, all das bricht sich endlich Bahn! Noch so ein Uptempo-Burner, und die Leute hätten höchstwahrscheinlich den Laden in Schutt und Asche gelegt. Und wer hätte Schuld gehabt: Natürlich
Tiffanys
! Um Regressforderungen abzuwenden, mussten wir die Notbremse ziehen: Moooaaarius’ vielleicht schönste Ballade,
Freiheit:
«Die Kapelle rumptata,
und der Papst war auch schon da! –
Freiheit, Freiheiheiiaeiiheiheiheihaheit
ist das Einzige, was zählt.»
Freiheit! Man sah, wie es in den endlich zu politischem Bewusstsein erwachten Klein Eilstorfern arbeitete. Wir hatten fastvierzig Minuten am Stück gespielt und flüchteten ins Kabuff, das mittlerweile fast genauso heiß war wie der Saal. Dem Geruch nach zu urteilen, waren die Klein Eilstorfer immer noch sehr hungrig. Zwanzig Jahre altes Bratfett lastete wie ein dichter Schleier über dem Saal. Das Klo konnte man nicht mehr betreten, wir pissten in leere Flaschen. Der Vorsitzende kam mit wehendem Schlips herangeeilt.
«Jungs, tut uns mal den Gefallen und spielt
Was wollen wir trinken
. Wenn ihr den draufhabt, dann seid ihr richtig gut.»
Diese Formulierung sollten wir im Lauf der Jahre noch oft hören: «Ihr seid ja gut, aber wenn ihr den und den draufhabt, dann seid ihr
richtig
gut.»
Der Titel
Sieben Tage
stammte von der holländischen Protestrockband
Bots
.
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