Fleisch ist mein Gemüse
bestimmt nicht erlaubt! Wer soll sich denn da noch aufs Spielen konzentrieren? Er benahm sich, als ob ihm die Halle gehörte, dabei war er nur ein unterbezahltes, kleines Rädchen im Gefüge der Glawes-Spielhallendynastie, ein mieses Teelicht, das sinnlos vor sich hinglimmt. In meinem unendlichen Hass habe ich anonym bei der Glawes-Zentrale angerufen und mich über seine Dauertelefoniererei beschwert. Und siehe da, kein einziges Privatgespräch führte das Vieh mehr. Was für ein Triumph!
Manche Spieler schlossen mit dem Personal regelrecht Freundschaft, in erster Linie, um Tipps zu bekommen, welcher Automat im Laufe der letzten Tage wie viel geschmissen hatte. Ekelhafte Parasiten! Ich hielt Distanz und bekam folglich auch keine Tipps. Der einzige Spieler, mit dem ich ab und an sprach, war ein netter Türke, der mir mal steckte, dass Wolfgang bei SPAR an der Fleischtheke arbeitete und noch bei seinen Eltern wohnte. Eine Freundin hatte er natürlich nicht, und so verzockte er jeden Monat sein Gehalt abzüglich des Zigarettengeldes. Selbst im Hochsommer schwitzte er jeden einzigen Tag vor den Automaten. Zwischen
Wolle
und mir herrschte Feindschaft auf den ersten Blick, wahrscheinlich, weil wir uns so ähnlich waren. Er hatte allerdings keine Pickel, und ich war dafür nicht dick.
Der Pate
Inzwischen half ich auch bei anderen Tanzbands aus, wenn irgendwo ein Saxophonist gebraucht wurde, und kam so neben den fünfzig Mucken mit meiner Stammband nochmal auf dieselbe Anzahl mit anderen Kapellen. Ich spielte mit
Alleinunterhalter Dieter Sterzel
auf Konfirmationen, mit
Duo Blackjet
auf Hochzeiten oder den Bands
Celebration
und
Partytime
auf Betriebsfeiern und Stadtfesten. Mucken, mucken, mucken.
Der mächtigste Tanzmusiker der Welt hieß Günter Petersen. Er galt als der Pate der Szene, dem es gelungen war, sich aus einfachen Verhältnissen zum Großmogul hochzuboxen. Irgendwann, als er selber noch als Metzger arbeitete, hatte er einmal mitbekommen, welche Gage ein Alleinunterhalteran einem
einzigen
Abend mit nach Hause bringt. Gibt’s doch nicht! Er beschloss, auch reich zu werden. Gleich rannte er los, kaufte sich ein Keyboard und nahm Unterricht. Fehlendes Talent machte er durch Fleiß und Ausdauer wett. Und er konnte schnacken, die wichtigste Begabung bei Tanzmusikchefs überhaupt: schnacken, schnacken, schnacken, schnacken, schnacken, schnacken und nochmal schnacken.
Innerhalb nur weniger Jahre stieg er mit über 200 Mucken im Jahr zum Platzhirschen des Landkreises Harburg auf. Günter war schon als Kind sehr dick gewesen und hatte sich jetzt als erwachsener Mann einen langen Rauschebart wachsen lassen. Die lockigen, blonden Haare trug er halb lang. Angesichts dieses sehr pelzigen Äußeren, verbunden mit raumgreifender physischer Präsenz, hatte ich oft das Gefühl, den lieben Gott oder wenigstens Jesus oder Bhagwan vor mir zu haben. Günters Band hieß natürlich
Günters Band
. Man konnte ihn buchen als Günter solo oder als
Günters Band
mit zwei, drei, vier bis unendlich vielen Musikern. Günters Musik klang, egal, mit wie vielen Musikern, immer gleich, denn gegen Ende der achtziger Jahre hatten die Sequenzer in der Tanzmusik ihren Siegeszug angetreten. Synthesizer und Drummaschinen waren durch die so genannte Midischnittstelle miteinander verbunden. Man konnte alle gängigen Titel auf Diskette erwerben, die einfach ins Keyboard eingelegt und gestartet wurde. Wie von Geisterhand setzten sich Synthesizer und Drummaschine in Gang, und plötzlich klangen die bis dahin mehr schlecht als recht vor sich hin eiernden Rumpelbands ganz annehmbar, wenngleich auch ziemlich ähnlich, da sie ihre Disketten alle vom gleichen Hersteller bezogen. Live wurde nur noch gesungen oder ein Gitarrensolo gespielt. Manchmal trommelte auch der Schlagzeuger ein bisschen mit, zumindest machte er hier und da Beckenabschläge. Die Leute haben entweder nichts gemerkt, oder es hat sie nicht gestört. Im Grunde genommen hätte man sich denganzen Sequenzerquatsch auch sparen und gleich eine CD mit den Originalplaybacks einlegen können.
Günter stellte einfach die gewünschte Anzahl von Pappkameraden auf die Bühne, die nur ein bisschen herumhampeln mussten. Ein Bombengeschäft, Günter wurde reich und reich und reicher. Er baute sich in seine schicke Doppelhaushälfte eine original dänische Sauna ein. Und draußen einen schicken Carport! Harburgs Tanzmusik-Bhagwan vermittelte zwar den Eindruck, dick sei gemütlich, aber in Wahrheit war
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