Fleisch ist mein Gemüse
machte mir ein Fläschchen auf. Es lief gerade
Ein Engel auf Erden
, diese amerikanische Serie über einen Engel, gespielt vom netten Michael Landon von Bonanza, der auf die Erde gesandt wird, um den Menschen zu helfen. Die aktuelle Folge ging besonders ans Herz. Ich war so gerührt, dass ich weinen musste. Ach, tat das gut! Es war schön warm. Ich trank noch ein Bier und schlief dann irgendwann ein.
Unsere Befürchtungen bezüglich der Ostmuckerinvasion sollten sich als unbegründet erweisen. Die kommunistischen Tanzkollektive standen unmotiviert in schlecht sitzenden Billigklamotten auf der Bühne, aus ihrem hoffnungslos veralteten Equipment schnatterte ein mieser Sound, und die Gassenhauer hatten sie auch nicht drauf! Außerdem kamen sie mit dem Westtempo nicht mit, denn bei uns musste alles
zackzack
gehen, drei Stücke, kurze Pause und dann hoppla, zweimal in die Hände geklatscht, auf geht’s, meine Herren, ab 23 Uhr auch mal fünf Stücke und mehr, wir wollen hier ja schließlich nächstes Jahr wieder spielen. Und die Ostkapellen? Stichwort Schlendrian, vierzig Jahre Sozialismus hinterlassen eben doch ihre Spuren. Zwei Stücke und dann erst mal in Ruhe ein Zigarettchen rauchen, die Herren Musikanten, haben Sie sich so tatsächlich den Westen vorgestellt? Das funktioniert vielleicht in der Planwirtschaft, aber hier geht es uns nur deshalb so gut, weil wir das Wort
Leistung
vorwärts und rückwärts buchstabieren können.Und zwar im Schlaf! Von wegen Arbeit und gute Laune auf Lebenszeit, Wohnung, Krippe, Altenstift, Rente und alles garantiert. NIX! Der feindliche Übernahmeversuch der Ostmucker scheiterte auf ganzer Linie.
1990
Glawes
In der
Taverna Stavros
wurde der Merkur Disc durch einen anderen Automaten ersetzt, der so schlecht schmiss, dass ich mich noch nicht einmal mehr an seinen Kampfnamen erinnern kann. Das ewige Souvlaki hing uns langsam auch zu den Ohren heraus, aber sonst gab es ja nichts. Schon das in der Zubereitung eigentlich anspruchslose Gyros schmeckte nicht, geschweige denn Moussaka oder die Nr. 38, Stifado. Mittlerweile aß kaum noch jemand bei Schorsch, und es war eine Frage der Zeit, wann die lichtlose Kaschemme für immer würde schließen müssen. Es fehlte Schorsch einfach an frischen kulinarischen Einfällen. Wenn er uns mal gefragt hätte. Mit Spitzenideen wäre er versorgt worden.
Tiffanys-Teller
mit neun verschiedenen Sorten Fleisch. Ohne Beilagen, dafür mit Spiegeleiern überbacken. Oder Nr. 13, Grillhackplatte
Moorwerder
: Bifteki, Moussaka, Souzukaki, kombiniert mit Baked Potato, Pommes, Brat- und Salzkartoffeln. Oder Innereienplatte
Klein Eilstorf
: Leber, Niere, Lunge und Herz mit Zaziki und Pommes, dazu ein Glas Maphrodaphne aufs Haus. Und Fisch komplett raus aus der Karte. Und die gemischte Nudelplatte in Sahnesoße auch. Die gemischte Nudelplatte bei Schorsch schien sich von selbst zu vermehren. Man aß und aß und aß, doch sie wurde nie weniger, im Gegenteil, mit jedem Bissen wurde sie größer und sahniger. Aber uns fragte ja niemand. Schorschi nervte immer mehr:
«Wie geht euch das, Junkens, schön, dass ihr hier seid, was macht Musik, ordentlich was zu tun? Ich hab Panajotis ein Keyboard gekauft, von Yamaha, kennt ihr das? Kommt doch malvorbei bei uns zu Haus, mein Frau ist krank, kann man nix machen, jetzt muss ich hier kochen, Junkens, Souvlaki dauert heut länger, haha, aber Bier ist gleich fertig, ich zapf immer schon vor, wenn ich weiß, dass ihr kommt, haha.»
Verzweifelt kämpfte er um seine letzten Umsatzbringer. Leider stand Jens als Daddelpartner immer seltener zur Verfügung, denn der hatte nach der erfolgreichen Beendigung seiner Ausbildung nur noch zwei Ziele: Bis dreißig allerspätestens wollte er verheiratet sein und außerdem ein Haus gebaut haben, das dreihundert Jahre stehen sollte, mindestens. Stein auf Stein, Erker, Gaube, Vollkeller, Hobbyraum und was sonst noch so dazugehört. Ein vergleichsweise erreichbares Ziel; das mit der Frau würde nicht so einfach werden. Jensens Albtraum war, dass er zusammen mit anderen armen Wichten, die mit dreißig auch noch nicht unter der Haube waren, unter dem höhnischen Applaus der Bevölkerung die Treppen des Winsener Rathauses würde fegen müssen.
Haus und Frau, Frau und Haus, Haus und Frau, Frau und Haus
. Wenn er diese beiden Lebensziele erreichen wollte, mussten die Weichen jetzt gestellt werden. Er zog in eine winzigkleine Zweizimmerwohnung direkt an der B 4 und verordnete sich für die
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