Fleisch ist mein Gemüse
er dick und ungemütlich. Einen langjährigen Gitarristen feuerte er einmal von heute auf morgen, nur weil der gesagt hatte, Günter nehme es mit der Wahrheit nicht immer so genau. Dann drängte es den spät Berufenen zu Höherem. Er wollte an die richtigen Futtertröge, träumte von einer Karriere als Stimmungskanone wie Gottlieb Wendehals. Seine erste Single war eine Eigenkomposition mit dem Titel:
Was macht der Mullah auf dem Fernsehturm?
Wer nicht expandiert, geht unter. Leider entwickelte sich der Song nicht wie erwartet zum Hit, und nach zwei weiteren glücklosen Versuchen konzentrierte sich der Sumomusiker wieder aufs Kerngeschäft. Montag und Dienstag waren die Bürotage, in denen er sein weit verzweigtes Terrornetzwerk organisierte, und ab Mittwoch ging’s dann
on the road again
. Sechzigster Geburtstag oder Polterabend oder Taufe oder Einweihung. Donnerstag dasselbe. Ab Freitag die großen Events: Schützenfest, Betriebsfeier oder Hochzeit, Samstag Hochzeit, Betriebsfeier oder Schützenfest. Sonntag war der einzige freie Tag und Günters Lieblingsbeschäftigung gewidmet: Essen! Er konnte
richtig
was wegschlucken und hat es mit den Jahren verstanden, seinen Magen so enorm zu dehnen, dass immer noch größere Portionen darin Platz fanden. Jens verschlang schon beachtliche XX L-Fleischteller , aber seine Rationen verblassten gegenüber Günters übermenschlichen Leistungen zu lächerlichen Spatzenportionen. Auch Süßes verputzte Günter in großen Mengen. Sein Rekordwaren einmal 24 Kugeln, die er in Luigis Eiscafé verdrückte. Und Eier natürlich. Meine Güte. Ich traute mich in seiner Gegenwart kaum noch, überhaupt etwas zu mir zu nehmen, da ich seinen spöttischen Blicken nur schwer standhalten konnte.
Was, das nennst du essen? Dafür lohnt es doch nicht, überhaupt das Besteck in die Hand zu nehmen! Schäm dich, du Wurm.
Einmal wurden wir nach dem Soundcheck in der Gaststube für die bevorstehende Mucke mit Nährschlamm abgefüllt. Günter schluckte die gewohnten Mengen weg. Ein Fernseher lief. Politische Berichterstattung, im ZDF lief
Heute
. Fast täglich konnte man den mittlerweile enorm korpulenten Helmut Kohl zusammen mit dem DD R-Ministerpräsidentenhühnchen Lothar de Maiziere in den Nachrichten bestaunen. Ich glaube, der schmächtige Ostler hatte sehr große Angst vor dem Einheitskanzler, der das spürte und ausnutzte. Ich stellte mir vor, wie Dr. Kohl abends beim Bankett freundschaftlich seine gewaltigen Arme um den zitternden Hänfling legt und ihm gemütlich ins Ohr flüstert: «Lothar, du weißt, dass ich dich wie eine Fliege zerquetschen kann?» De Maiziere wird halb ohnmächtig und kriegt vor lauter Aufregung sein Essen nicht runter. Das besorgte dann Dr. Kohl für ihn. De Maiziere jovial zuzwinkernd, verputzt er genüsslich dessen Kinderteller mit zwei großen Hapsen. Große Politik ist in Wahrheit oft viel einfacher, als man sich das als Normalsterblicher vorstellt.
Günter war schon seit Ewigkeiten mit Petra verheiratet. Und jetzt kommt’s: Petra war noch dicker als er! Einmal habe ich das Ehepaar zufällig auf dem Winsener Schützenfest getroffen. Unter fadenscheinigen Gründen bin ich möglichst lange in ihrer Nähe geblieben, um sie beim Spachteln beobachten zu können. Kiloweise landeten da gebrannte Mandeln, Liebesäpfel, Würste und Pommes in den austrainierten Mägen der Allesschlucker. Irgendwoher wusste ich, dass die beiden schon als Halbwüchsige miteinander
gebumst
haben. Günter war trotz seiner Korpulenznoch überraschend stramm, Petra hingegen hoffnungslos auseinander gequollen. Einmal erzählte mir der damalige Schlagzeuger René, Günter habe ihn und seine Freundin für Sonntagnachmittag zum gemeinsamen Saunieren eingeladen. Was für eine Vorstellung! Mit den beiden Giganten in der engen Heimsauna schwitzen, danach etwas Ordentliches essen und als Höhepunkt vermutlich
Partnertausch
. Der Drummer rettete sich mit einer fadenscheinigen Ausrede und wurde kurze Zeit später aus noch fadenscheinigeren Gründen gefeuert.
Petra und Günter waren fast auf den Tag genau gleich alt und veranstalteten zu ihrem vierzigsten Geburtstag ein Riesenfest. Auf der Einladung stand:
Lieber würzig mit vierzig als ranzig mit zwanzig,
und das Motto der Feier war:
Buletten, Bier und Boogie-Woogie
. Der Autodidakt schwoll im Laufe der nächsten Jahre auf sagenhafte einhundertsiebzig Kilo an, doch dann, auf dem Höhepunkt seiner Regentschaft, passierte es: Er wurde schwer
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