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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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Probezeit will ich keinen Mucks hören. Von wegen hier einfach so hereinspazieren, hoppla, jetzt komm ich. Bescheiden wie ein Mäuschen hatte der Saufkopf zu sein, und geredet werden durfte nur nach Aufforderung. Wenn Publikum in der Nähe ist, bleibt der Mund sowieso geschlossen, wegen der schlechten Zähne.
    Die erste gemeinsame Mucke wurde dann auch die befürchtete, beziehungsweise von mir erhoffte Katastrophe. Maik war
sehr
schlecht vorbereitet, und er hatte ein Gedächtnis wie ein Sieb. Trotzdem schien er sich immer noch erstaunlich sicher zu sein, den Job bereits in der Tasche zu haben. Obwohl sich die Mucke immer mehr zu einer Hinrichtung unter meinem Kommando entwickelte, nervte er in den ersten Stunden mit plakativ zur Schau getragener guter Laune und kecken Sprüchen. Außerdem soff er wie alle trockenen Alkoholiker in einem fort Kaffee. Ich hätte ihm am liebsten seinen beschissenen Becher aus der Hand getreten und ihn mitsamt seinem Schlagzeug von der Bühne geprügelt. Langsam verging dem Pfannkuchengesicht sein dämliches Mondkuchengrinsen. Auch der Rest der Band war über seine Vorstellung enttäuscht.
    «Hast du dir die Stücke denn überhaupt nicht angeguckt?»
    «Doch, doch, aber es sind so viele.»
    «Aber die kennt man doch. Das sind Standards!»
    «Ja, ich weiß auch nicht. Nächstes Mal hab ich sie besser drauf.»
    Nächstes Mal? Na warte. In jeder Pause beklagte ich mich bei Jens oder Norbert.
    «Das darf doch nicht wahr sein.»
    «Tja, doll ist das nicht.»
    «Doll ist das nicht? Das ist eine absolute Katastrophe! Der Mann ist eine Null. Nix vor dem Komma und nix dahinter.»
    «Vielleicht entwickelt er sich ja noch.»
    «Entwickeln, entwickeln. Und die Kinder macht der Papst, oder wie? Wir müssen den sofort wieder feuern.»
    «Lass mal nachher drüber reden.»
    Ich guckte während meiner Hasstiraden immer zu Maik hinüber, damit der auch ja sah, dass es hier um seinen Kopf ging. Da man die sachlich veranlagten Kollegen immer gut mit Fakten beeindrucken konnte, versuchte ich mir die Zahl seinerverpatzten Einsätze zu merken. Mittlerweile waren Maik die frechen Sprüche vergangen. In den Pausen blieb er in höchster Anspannung hinter seinem Schlagzeug sitzen und versuchte sich mental auf den nächsten Set vorzubereiten. Half auch nix mehr. Nachdem ihn um drei Uhr morgens endlich der Feierabend erlöste, schob er sofort kreidebleich ab zum Umziehen, während die Kollegen noch auf ein Getränk im Saal blieben. Ich ging ihm hinterher, um mich an seiner Niederlage zu weiden. In der Garderobe packte Maik stumm seinen Kleidersack. Obwohl er mir da fast schon wieder Leid tat, änderte das an der
Sache
natürlich nichts.
    «So, jetzt sag mal, wie fandest du es selber.»
    «Noch nicht so. Ich hab dauernd die Tempi verwechselt.»
    «Das hat man gehört. Mann, kennst du die Stücke denn alle nicht? Ich denke, du bist Mucker. Du musst dich doch wenigstens vorbereiten, wenn du das Repertoire schon nicht kennst.»
    «Ja, ich weiß doch.»
    «So überstehst du die Probezeit jedenfalls nicht.»
    Verzweifelt blickte er mich an und hängte seinen Anzug in den Kleidersack. Ich ging wieder zu den anderen. Die Wahnsinnigen waren zu dem Entschluss gekommen, ihm noch eine zweite Chance zu geben. Ich konnte es nicht fassen.
    «Wie bitte? Das ist doch wohl nicht euer Ernst! Habt ihr denn nicht gehört, was der sich zusammengetrommelt hat? Das kann man dem Publikum doch nicht zumuten. Die Leute konnten gar nicht vernünftig tanzen, weil er mit den Tempi so rumgeeiert hat.»
    «Du hast ja Recht. Aber in zwei Wochen ist die nächste Mucke, und bis dahin finden wir niemand anderen.»
    «O nein, scheiße.»
    «Komm, gib ihm noch ’ne Chance.»
    Er muss Tag und Nacht geübt haben, denn bei der nächsten Mucke spielte er mindestens doppelt so gut. Außerdem kam ervon da an immer absolut korrekt gekleidet und stets eine halbe Stunde zu früh. Das kecke Auftreten und die dummen Sprüche ließ er auch sein, nur mit der Konzentration hatte er nach wie vor Probleme, denn durch die Sauferei war sein Gehirn offenbar schon ganz porös geworden. Maik hatte wirklich das schlechteste Gedächtnis der Welt. Aber er steigerte sich von Job zu Job, und als die Probezeit schließlich vorbei war, konnten wir ihm beim Spiegeleieressen die frohe Botschaft verkünden, er wäre jetzt Vollmitglied bei
Tiffanys
. Ein Ehrentitel erster Güte! Meinen Vernichtungskrieg auf der ersten Mucke hat er mir allerdings nie verziehen.

1995
    Swingtime is good

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