Fleisch und Blut
intelligent. Außerdem ein Psychologe. Er entspricht Shawnas Liste. Und wo wir von Visitenkarten reden - er hat seinen Stammbaum zur Bestätigung. Nach allem, was wir wissen, benutzt er das Magazin als Köder. Das Gleiche gilt für die Intimitätsstudie.«
»Ein Doppelleben, wie? Der Saubermann am Tag, Gott weiß was nach Dienstschluss.«
»Selbst am Tag ist er merkwürdig«, sagte ich. »Er hat derzeit keine Klienten, unterhält aber trotzdem dieses Labor. Setzt Leute in ein seltsames kleines Zimmer und misst, wie nahe sie sich kommen. Klingt in meinen Ohren mehr nach Voyeurismus als nach Wissenschaft. Und er hat Inserate sowohl vor Shawnas als auch vor Laurens Verschwinden geschaltet.«
»Seine Mitarbeiterinnen sagen, Shawna sei nie in Newport gewesen.«
»Dann hat er Unterlagen vernichtet. Oder Shawna auf andere Weise getroffen. Indem er schicke Fotos gemacht hat, oder er hat einen anderen Vorwand benutzt. Mindy sagte, Shawna hätte sich fein gemacht für diese Wochenendveranstaltung bei ihr zu Hause. Sie hat ihr die Geschichte nicht abgekauft, sondern das vermutet, was offensichtlich war: eine Verabredung. Shawna war achtzehn Jahre alt und hungrig auf die feineren Dinge des Lebens, redete offen darüber, dass sie ältere Männer mochte. Man müsste kein Genie sein, um das zu erkennen und auszunutzen. Und hier ist noch was zum Nachdenken: Ein Jahr ist zwischen Shawnas Verschwinden und Laurens Tod vergangen, aber das heißt nicht, dass es in der Zwischenzeit keine weiteren Opfer gegeben hat.«
»Das hab ich überprüft«, sagte er. »Direkt nachdem du mir von Shawna erzählt hattest. Keine offensichtlich ähnlichen Fälle.«
»Solche Sachen passieren«, sagte ich. »Sachen, von denen niemand weiß. Besonders wenn dabei Geld im Spiel ist.« Er antwortete nicht. Aber er widersprach auch nicht.
Wir verließen das Med Center und gingen auf den Parkplatz davor, wo er den zivilen Einsatzwagen hatte stehen lassen. Ein Strafzettel flatterte unter dem Scheibenwischer. Er zerknüllte ihn und warf ihn auf den Rücksitz des Wagens.
Ich sagte: »Zumindest würde es sich lohnen, mit Shawnas Mutter zu reden. Sie wäre wohl in der Lage, diese Wochenendveranstaltung in Santo Leon zu bestätigen oder auszuschließen. Vielleicht arbeitet sie immer noch im Hilton.«
»Noch jemand, den wir unglücklich machen können«, sagte er. »Ja, okay, brausen wir vorbei. Danach fahre ich dann nach Sherman Oaks, um Jane Abbot zu besuchen. Alles Gute zum Muttertag.«
Das Beverly Hilton liegt am Westrand von Beverly Hills, direkt im Osten von dem Streifen, wo der L. A. Country Club Wilshire zu beherrschen beginnt. Die Fahrt von Westwood dauerte fünf Minuten. Die Personalverwaltung des Hotels war kooperativ, aber vorsichtig, und es dauerte eine Weile herauszufinden, dass Agnes Yeager die Belegschaft des Hilton vor neun Monaten verlassen hatte.
»Sie ist nicht lange geblieben«, sagte Milo. »Irgendwelche Probleme?«
»Überhaupt keine Probleme«, sagte Esai Valparaiso, der Assistent des Personalmanagers, ein kleiner, freundlicher Mann in einem engen braunen Anzug. »Wir haben sie nicht entlassen, sie ist einfach gegangen.« Valparaisos Daumen schnippte gegen die Kante des Ordners. »Ohne ordnungsgemäße Kündigung, steht hier.«
»Haben Sie eine Idee, wohin sie gegangen sein könnte?«
»Nein, Sir, wir gehen dem nicht weiter nach.«
»Und ihr Job bestand darin, Zimmer sauber zu machen?«
»Ja, Sir - sie war im Housekeeping beschäftigt.«
»Könnte ich ihre letzte Adresse haben?«
Valparaisos Hände spreizten sich auf der Oberfläche seines Schreibtischs. »Ich hoffe, sie hat nichts getan, was auf das Hotel zurückfällt.«
»Nur wenn Trauer schlecht für Ihr Image ist.«
»Cochran zwölfhundert«, sagte Milo, den Blick auf den Zettel gerichtet, als wir zum Wagen gingen. »Die Wohnung, von der Mindy uns erzählt hat.« Er gab Agnes Yeagers Namen in den Computer ein. »Nicht gesucht, kein Haftbefehl, keine Verkehrsverstöße, aber die Adresse ist die in Santo Leon.«
»Vielleicht hat sie aufgegeben und ist zurückgezogen.«
Er besorgte sich die Vorwahl für die Kleinstadt und rief die Auskunft an. »Nicht aufgeführt - okay, sehen wir uns die Cochran an.«
Das Haus lag südlich des Olympic Boulevard, auf der Ostseite der Straße. Eine Kiste aus weißem, mit blauen Rauten überzogenem Stuck, Reste von Glitzerfarbe an den Ecken, ein offener, mit älteren Limousinen voll gestellter Carport und ein makelloser Betonvorplatz,
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