Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fleisch und Blut

Fleisch und Blut

Titel: Fleisch und Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
mochte ihn - er legte Wert darauf, sie wissen zu lassen, wie umwerfend sie aussah, ›eine richtige Marilyn‹. Von ihrem Vater hat sie das nie zu hören bekommen. Lauren hat nie was von ihrem Vater bekommen, und das war vielleicht meine Schuld.«
    Sie schluchzte. Ich setzte mich neben sie.
    »Demnach ist Lauren nicht oft vorbeigekommen«, sagte Milo.
    »Sie hatte immer viel zu tun. Mit der Uni und all dem - wenn sie hier war, hat sie über Mels lustige Geschichten sehr gelacht.« Ihr Blick wurde hart. »Lyle hat ihr nie lustige Geschichten erzählt. Lyle würde einen Witz nicht erkennen, wenn er es gab nicht viel zu lachen in unserer Familie. Ich bin sicher, dass Sie sich daran erinnern, Dr. Delaware.«
    Ich nickte.
    »Was für ein trostloses Leben wir geführt haben. Mel hat mir beigebracht, was wirkliches Leben ausmacht. Dann hatte er vor einem Jahr seinen ersten Schlaganfall. Dann noch einen. Und noch einen. Zuerst versagten ihm seine Beine den Dienst, dann sein Verstand. Manchmal ist er vollkommen klar, aber meistens ist er so, wie Sie ihn eben gesehen haben. Mein anderes Baby. Gott sei Dank war der Aufzug schon für Doris eingebaut worden, sonst wüsste ich nicht, was wir tun sollten. Er wiegt so gut wie nichts, und ihn in den Stuhl zu bekommen ist kein Problem - dank meiner Ausbildung. Ihn zu baden ist ein bisschen - aber das ist schon in Ordnung, im Großen und Ganzen läuft alles wie am Schnürchen.« Sie verzog das Gesicht, und Tränen schössen ihr in die Augen. »Im Großen und Ganzen läuft alles wie am Schnürchen.«
    Ich nahm ihre Hand. Ihre Haut war trocken und kalt, und sie summte, wie von einem unsichtbaren Zittern erfüllt.
    »Er wird mich bald anpiepen«, sagte sie. »Er vermisst mich, wenn ich nicht da bin.«
    »Tun Sie, was Sie tun müssen, Ma'am«, sagte Milo. »Wir arbeiten mit Ihnen.«
    »Danke. Sie sind sehr liebenswürdig. Oh, das ist... oh ...« Sie hob die Hände und stieß ein furchtbares Lachen aus.
    »Ein paar Fragen, Ma'am. Falls Sie glauben, es ertragen zu können -«
    »Ich kann alles ertragen«, sagte sie ohne Überzeugung.
    »Einige dieser Fragen werden Ihnen blödsinnig vorkommen, aber sie müssen gestellt werden.«
    »Fragen Sie.«
    »Fällt Ihnen irgendjemandein, der Lauren etwas antun wollte?«
    »Nein«, sagte sie schnell. »Jeder mochte sie. Sie war ein Schatz.«
    »Keine Ex-Freunde? Jemand, der aus persönlichen Gründen böse auf sie war?«
    »Sie hatte nie einen Freund.«
    »Nie?«, fragte Milo.
    Schweigen.
    Jane Abbot sagte: »Sie wollte Karriere machen. Mit ihrer Arbeit, ihrer Ausbildung. Sie hatte keine Zeit für Männerbekanntschaften.«
    »Hat sie Ihnen das gesagt?«
    »Das hat sie Mel gesagt. Wenn sie uns besuchen kam, sagte er: ›Du siehst so umwerfend aus, Mädchen. Warum hast du deinen Verehrer nicht mitgebracht?‹ Oder etwas in der Art. Sie lachte dann und sagte, sie hätte keine Zeit, sich mit Männern abzugeben, und Mel pflegte Scherze darüber zu machen, wenn er nur zweihundert Jahre jünger wäre ... Wenn - falls er begreift, was passiert ist, wird er am Boden zerstört sein.«
    Ihre Nase begann zu laufen, und ich gab ihr ein Papiertaschentuch.
    »Ihre Arbeit«, sagte Milo.
    »Als Model - sie hat freiberuflich gearbeitet und eine ganz hübsche Summe sparen können. Damit hat sie ihr Studium finanziert.«
    »Keine Zeit für Männer«, sagte er. »Nicht ein einziger.«
    »Ich habe jedenfalls niemanden kennen gelernt.« Sie richtete ihren Blick auf den Boden, und ich bemerkte, dass sie mit etwas hinter dem Berg hielt. Wusste sie über Laurens wahren Beruf Bescheid?
    »Sie hatte viel mit ihrem Studium zu tun«, sagte Milo.
    »Ja. Sie ging gern in ihre Lehrveranstaltungen. Liebte Psychologie, wollte es bis zu Ende studieren - ihren Dr. phil. machen.« An mich gewandt: »Sie haben sie inspiriert. Sie hatte eine hohe Meinung von Ihnen.«
    Milo fragte: »Hat sie außerhalb ihrer Lehrveranstaltungen ebenfalls in psychologischer Richtung gearbeitet?«
    »Sie meinen auf freiwilliger Basis? Ich glaube nicht.«
    »Freiwillig, Forschungsprojekte.«
    »Nein«, sagte Jane. »Mir gegenüber hat sie nichts davon erwähnt.«
    »Was ist mit Reisen?«
    »Von Zeit zu Zeit ist sie mal weggefahren. Aber nur ein oder zwei Tage. Nicht eine Woche - deshalb wusste ich, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Andy - ihr Mitbewohner - wusste es auch. Das hab ich gemerkt, als ich mit ihm sprach. Er machte sich Sorgen. Er wusste, dass etwas nicht in Ordnung war.«
    »Andy«, sagte Milo.

Weitere Kostenlose Bücher