Fleisch und Blut
ihr nicht erzählen, dass Sie es mir gesagt haben.«
»Ihnen was gesagt habe?«
»Michelles Nachnamen.«
»Ich kenne keine Michelle. Ich hab von einer Michelle Salazar reden hören. Hat Gretchen etwas gegessen?«
»Nicht viel.«
»Verdammt! Sie muss etwas essen. Stören Sie sie bitte nicht mehr beim Lunch.«
14
Milo tippte auf das Tastenfeld des MDTs und ließ den Namen Salazar, Michelle, durch das System laufen.
Der Schirm leuchtete auf. Drei Treffer. Michelle Angela, 47, mit einer Vorstrafe wegen Diebstahls, Michelle Sandra, 22, saß in Arizona eine Haftstrafe wegen Totschlags ab, und Michelle Leticia, 26, war vor zwei Jahren wegen Prostitution und ein Jahr später wegen Rauschgiftbesitz verhaftet worden.
»Da haben wir sie ja«, sagte ich. »Das Alter ist perfekt.«
»Echo Park. Fahren wir hin - würdest du sie wiedererkennen?«
»Nein, es war dunkel«, sagte ich. »Vielleicht.«
Michelle Salazar wohnte in einem zweistöckigen pfirsichfarbenen Haus mit sechs Wohnungen an einer kurvigen Straße, einen Häuserblock östlich von Micheltorena und zwei Blocks nördlich des Sunset. Ein brauner Himmel hing tief über den Schlaglöchern, kastenförmige Hieroglyphen sangen die Geschichten der Straßengangs, kleine Kinder spielten im Staub. Zwei Häuser weiter stand eine Traube junger Männer mit glatt rasierten Schädeln in weißen ärmellosen Unterhemden und ausgebeulten Hosen, Zigaretten rauchend und Bier trinkend dicht um einen alten weißen Lieferwagen herum.
Als wir aus dem zivilen Einsatzwagen stiegen, beobachteten uns einige der Biertrinker. Milos Pistolenhand war entspannt, aber am richtigen Platz, als er ihnen einen militärischen Gruß zuwarf. Alle gaben sich große Mühe, nicht zu reagieren. Wir waren in Ramparts Division, wo vor zwei Jahren ein Polizeiskandal ans Licht gekommen war - CRASH- Beamte, die eine eigene kriminelle Gang gebildet hatten. Das LAPD behauptete, die schwarzen Schafe seien ausgesondert worden, aber das LAPD hatte die Existenz schwarzer Schafe zu lange geleugnet, um jetzt noch glaubwürdig zu erscheinen.
Das Schloss an der Haustür fehlte. Im Innern war ein dunkler Hausflur von dem durchdringenden Geruch von zu altem menudo erfüllt. An der rechten Wand angebrachte Briefkästen waren mit Vorhängeschlössern versehen und trugen keine Namensschilder. Milo klopfte an der ersten Tür, und als keine Reaktion erfolgte, versuchte er es an der nächsten, wo er ein gerufenes »Si?« zur Antwort erhielt.
»Policia. « Er sprach das Wort ruhig aus, aber es war unmöglich, es einladend klingen zu lassen.
Nach einer langen Pause sagte eine Frau: »Eh?«
»Policia. «
»Policia por que?«
»Senora, donde esta Michelle Salazar, por favor?«
Nichts.
»Senora?«
»Numero seis. « Ein Radio wurde so laut gestellt, dass eine weitere Unterhaltung unmöglich wurde. Wir gingen zur Treppe.
Im ersten Stock war die Geruchspalette anders: säuerliche Wäsche, Urin, Orangensaft.
Milo klopfte an die Tür von Nummer sechs. Eine andere Frauenstimme sagte: »Yeah?«, und die Tür öffnete sich fünfzehn Zentimeter, bevor er antworten konnte. Sie wurde von einer losen Kette gehalten und halbierte das Gesicht einer Frau. Ein wässriges braunes Auge, ein halbes ausgetrocknetes Lippenpaar, teigige Haut.
»Michelle Salazar? Detective Sturgis -« Als die Tür sich zu schließen begann, blockierte er sie mit dem Fuß, griff um sie herum und löste die Kette.
Ich erkannte sie nicht wieder, wusste aber irgendwie, dass sie es war.
Als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie zwei Arme gehabt.
Sie trug einen Hausmantel aus grünem Nylon mit Löchern in den Aufschlägen. Gemessen an damals, als ich sie mit Lauren hatte tanzen sehen, hatte sie ungefähr dreißig Pfund zugenommen. Ihr ehemals hübsches Gesicht war an allen falschen Stellen geschwollen, und Pickel verkrusteten ihre Stirn und ihr Kinn. Dieselbe verschwenderische Mähne pechschwarzen Haares. Die rechte Hand hielt eine Zigarette, deren Asche die Schwerkraft leugnete. Ihr linker Ärmel, der von der Schulter an leer herunterfiel, war am Ellbogen zurückgesteckt.
»Ach, Scheiße«, sagte sie. »Ich hab nichts getan - lasst mich bitte in Ruhe.«
»Ich bin nicht hier, um Ihnen Ärger zu machen, Michelle.«
»Ja, klar.« Das Zimmer in ihrem Rücken war verwahrlost; schmutzige Klamotten, altes Essen und Klumpen, die wie Hundescheiße aussahen, lagen herum. Wie um das zu bestätigen, hüpfte ein kleines, haarloses Tier mit einem
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