Fleisch
nicht, konnte sich nicht erinnern. Konnte sich nicht konzentrieren. Ihre Sicht war getrübt. So viel Schmerz in ihrem Körper. Sie hatte gesehen, dass ihre Arme bei jedem Schlag in die Höhe fuhren, aber sie konnte sie nicht kontrollieren. Sah sie herumfliegen und herunterfallen wie bei einer Stoffpuppe. Ihre Rückenmuskeln hatten gezuckt, sich verkrampft und so verharrt, bis sich der nächste Stromschlag einen Weg hindurchbahnte.
Ihre Brust schmerzte. Das Atmen tat weh. Ihr Puls raste – zu schnell, viel zu schnell. Ihr Hals war rau und trocken, so trocken, dass sie nicht schlucken konnte. Und trotzdem stand ihr Mund immer noch offen. Sie spürte, wie ihr Spucke das Kinn hinunterlief.
Sie lag auf dem Rücken und starrte an das Wagendach. Sie sah ihre Knie angezogen neben sich. Zumindest glaubte sie, dass es ihre waren. Sie konnte sie nicht spüren. Ihre Hände waren vor ihr, an den Gelenken gefesselt mit einem Kabelbinder. Sie wusste nicht, ob sie auch an den Füßen gefesselt war. Die konnte sie ebenfalls weder sehen noch fühlen.
Ununterbrochen dröhnte eine Stimme. Sie hallte hohl und gedämpft irgendwo über ihrem Kopf. Oder war sie in ihrem Kopf? Sie kannte sie nicht. Radio?
„… hätten nach Denver zurückkehren sollen.“
Nein, er war es. Er sprach über sie. Oder zu ihr. Vom Vordersitz aus, direkt über ihrem Kopf. Aber es hörte sich an, als wäre er meilenweit entfernt am anderen Ende eines Tunnels. Sie konnte es nur stückchenweise entschlüsseln.
Das Fahrzeug fuhr in eine Kurve, und sie rutschte vom Sitz. Etwas stieß gegen die Verkleidung neben ihr. Ein metallisches Scheppern erklang in ihren Ohren. Das Auto verließ die Straße, und sie fuhren nun über einen Feldweg. Einen harten, zerfurchten Feldweg. Ihr Körper hüpfte, und sie stieß sich den Kopf an. Eine Welle von Übelkeit überrannte sie, und sie bekam Angst. Wenn sie sich übergeben musste, würde sie sich nicht vornüberbeugen können und müsste ersticken. Sie fühlte sich benommen und suchte etwas, worauf sie sich konzentrieren könnte. Sie brauchte etwas, das sie anvisieren konnte, so wie Dawson, etwas, auf das sie ihren Blick richten konnte.
Durch das Fenster sah sie den dunkelblauen Himmel. Verschwommenes Glitzern unterbrach das Blau. Dämmerung. Wie konnte es schon so düster sein?
Wieder eine Kurve. Wieder das Scheppern.
Maggie drehte ihren Kopf so weit, dass sie in den Himmel schauen konnte. Dabei erhaschte sie auch einen Blick auf das, was neben ihr so gescheppert hatte. Oh Gott, es war eine Schaufel!
Die Übelkeit wurde schlimmer. Und ihre Angst immer größer.
Funkle, funkle, kleiner Stern, wer du bist, das wüsst ich gern …
In dem tiefen Meer der Dämmerung fand sie einen flimmernden Stern und sah ihn unverwandt an.
58. KAPITEL
Washington, D. C.
Platt hatte nicht die Zeit, um vom Flughafen noch nach Hause zu fahren. Stattdessen aßen Bix und er in der Stadt zu Mittag. Old Ebbitt’s war eins von Maggies Lieblingsrestaurants. Sie hatten etwas gebraucht, das günstig in der Nähe der Denkmäler lag. Das Old Ebbitt’s war ihm sofort eingefallen, und nun war er froh darum.
Er fühlte sich wohl in dem warmen Licht der antiken Gaslampen und beim Gedanken an Maggie, wie sie seinetwegen die Augen verdrehte und ihn von der anderen Seite des Tisches aus anlachte. Sie und ihre Freundin Gwen Patterson kamen dauernd hierher, aber mit ihm war sie nur einmal hergegangen. Sie hatten einen Ecktisch gehabt. Draußen war es schwül gewesen, drinnen kühl. Sie hatten Bier und Hamburger bestellt und sich angeregt über die Filme mit Spencer Tracy und Katharine Hepburn unterhalten.
Auch heute würden die abgetrennten Nischen Platt und Bix etwas Privatsphäre geben. Und weil sie keine Politiker waren, von denen ebenfalls viele hier verkehrten, würde sie auch niemand erkennen oder von ihnen Notiz nehmen. Und tatsächlich drehte sich kein Mensch nach ihnen um, als sie eintraten. Ein flüchtiger Seitenblick war alles, was sie bekamen.
Platt bestellte ein Bier, ein Sam Adams. Bix runzelte die Brauen und bestellte Kaffee. „Nur Kaffee, nichts sonst.“
„Es dauert noch zwei Stunden, bis wir ihn treffen“, sagte Platt. „Ich denke, da kann ich ja wohl ein Bier trinken.“
Bix blickte weiter finster drein.
„Nehmen Sie doch auch eins.“
„Ich trinke nicht.“
„Könnte sein, dass Sie heute damit anfangen.“
„Wir müssen etwas essen. Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen.“ Bix schlug die Speisekarte
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