Fleischeslust - Erzaehlungen
anblaffte, als sie mich fragte, ob ich ein paar Kekse und eine Tasse Punsch haben wollte, obwohl ich neidisch und sehnsüchtig in die flaggengeschmückte Ecke sah, aus der Casper mich angrinste und dabei Billy Matechik in die Schulter boxte; ich tanzte mit ihr, aber das war’s auch, weiter würde ich nicht gehen, und es war mir vollkommen egal, ob der Schnee schwarz wurde oder dem Atomreaktor die Kuppel davonflog, oder Johnny Atom uns alle im Schlaf verglühen ließ.
Es wurde ein später Frühling, und wir wollten ihm etwas nachhelfen, indem wir die Baseballsaison einläuteten, obwohl der Schnee noch auf dem toten gelben Gras und dem gefrorenen Boden darunter lag. Wir holten Bälle und Handschuhe hervor, standen in T-Shirts und mit bibbernden Schultern auf der Straße, auf den Armen eine Gänsehaut, über unseren Köpfen einen Heiligenschein aus kondensierter Atemluft. Casper spielte weder Hand-, noch Foot-, noch Base-, noch Basketball und stand daher abseits in seiner Lederjacke, in der Hand heimlich eine Zigarette, und beobachtete uns spöttisch aus seinen grauen Augen. Ich erkältete mich, bekam eine Grippe, mußte eine Woche lang im Bett bleiben. Am ersten April gingen wir Forellenfischen, ein Frühlingsritual, aber es war ein trüber, unwirscher Tag, ein kalter Wind wehte, und die Temperatur sank unter Null. Ich warf den Köder aus, bis mein Arm jedes Gefühl verlor. Die Forellen hätten ebensogut ausgestorben sein können.
Seit dem Ball hatte ich mit Maki Duryea nichts zu tun gehabt. Ich sah sie nicht einmal an. Wäre sie plötzlich auf dem Spielplatz in Flammen aufgegangen oder zur Größe eines Zeppelins angeschwollen, ich hätte es nicht bemerkt. Wegen der Tanzgeschichte war ein stetiger Strom von Schmähungen über mich hereingebrochen, und ich war verlegen und wütend. Einen vollen Monat später wurde ich noch zum Ziel eines verschärften Programms von Kopfnüssen und Ohrzwickern, von eingespeichelten Papierkügelchen und zusammengerollten Heftblättern mit hingekrakelten Herzen auf den zerknüllten Innenseiten, doch wir waren damals unschuldig, und niemand verwendete die Schimpfwörter, die wir erst später lernen sollten, die Sprache von Haß und Ausgrenzung. Sie gingen auf mich los, weil ich mit Maki Duryea getanzt hatte – oder vielmehr, weil ich zugelassen hatte, daß sie mit mir tanzte –, und weil sie anders war und weil die meisten Eltern eine Mißbilligung an den Tag legten, die ihre Kinder noch nicht begreifen konnten. Deswegen war ich sauer auf Maki und auf meine Mutter auch.
Als die ersten Gerüchte auftauchten, empfand ich deshalb eine irgendwie schuldbewußte Befriedigung. Vor Makis Haus hatte es Ärger gegeben. Vandalen – und allein dieses Wort verursachte mir einen perversen Kitzel –, Vandalen hatten rassistische Hetzparolen auf die schimmernd schwarze Fläche ihrer geteerten Einfahrt gesprayt. Meine Mutter tobte vor Wut. Sie setzte sich mit ihrem Drink und den Zigaretten ans Telefon. Sie bildete sogar ein Zwei-Personen-Komitee mit Caspers Mutter (die eine der wenigen war, die nicht wegen der Balleinladung angerufen hatten), und sie trafen sich ein- oder zweimal in Caspers Wohnzimmer, wo sie aus langstieligen Gläsern eine klare Flüssigkeit tranken, mit ihren Zigaretten gegen die Aschenbecher klopften und den tristen Zustand unserer Gemeinde, der Siedlung, der Stadt, des Landes und der ganzen Welt beklagten.
Während unsere Mütter die Hände rangen und mit kratziger, geheimnisvoller Stimme miteinander telefonierten, nahm mich Casper beiseite und zeigte mir die Zeitung, die Morty Solomon, der auf seinem Fahrrad durch die Straßen fuhr, keine fünf Minuten zuvor auf den Rasen geschleudert hatte. Ich las keine Zeitungen. Ich las keine Bücher. Ich las gar nichts. Casper drängte sie mir auf, und da stand es, das Gerücht nahm Gestalt an: VANDALEN SCHLAGEN WIEDER ZU . Diesmal war ein Kreuz vor dem Haus der Duryeas verbrannt worden. Ich sah Casper erstaunt an. Ich wollte ihn fragen, was das zu bedeuten hatte, ein Kreuz – ein Kreuz war doch was Religiöses, oder? Und das hier hatte doch gar nichts mit Religion zu tun, oder? –, aber ich fühlte mich unsicher in meiner Ratlosigkeit und schwieg deshalb lieber.
»Weißt du, was wir machen sollten?« fragte er und sah mich dabei scharf an.
Ich dachte an Maki Duryea, an ihr Haar und die ruhigen Augen, dachte an die lodernden Flammen und an die Parolen auf ihrer Einfahrt. »Was denn?«
»Wir sollten sie mit Eiern
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