Fleischeslust - Erzaehlungen
Amboseli- oder im Tsavo-Reservat, oder im großen Bahi-Sumpf, aber statt dessen hatte sie ihre ganzen zweiundfünfzig Jahre auf diesem fremden, unnatürlichen Erdteil verbracht, mitten im Gestank und im Chaos der Menschen. Man hatte sie gefesselt, mit Stöcken getrieben und geschlagen, ihr beigebracht, zu tanzen und auf einem Bein zu stehen und mit dem Rüssel die klägliche Schwanzquaste zu packen, die zwischen den kläglichen Flanken eines anderen kläglichen Elefanten herabhing, während sie vor wuselnden Affenhorden durch eine scheußliche Zirkusmanege nach der anderen paradierten. Und dann das hier: eine Gegend, in der es nach den öligen Ausflüssen der Erde stank, und wieder angebunden und wieder Menschen. Sie hatte das Krachen der Gewehre gehört, das Blut in der Luft gewittert, und sie wußte, daß hier gemordet wurde. Und sie wußte auch, daß der Jeep ihretwegen gekommen war.
Der Staub ringsherum legte sich, sank in einem Mahlstrom aus feinen weißen Teilchen nieder. Sie stellte die Ohren auf, trompetete und hob den massigen Zylinder ihres rechten Vorderfußes vom Boden und schwenkte ihn vor sich. Sie hatte es satt, die Stachelstöcke und die Stricke, das fade, trockene Stroh, das nach nichts schmeckte, und das Viehfutter, die Sonne und die Luft und die Nacht und die Tage. Sie griff an.
Sie ließ sich von der Witterung leiten, bis die Gewehre krachten, einmal, zweimal, dreimal, und eine neue Sorte Stachelstock in sie hineinfuhr, durchschlagend und heiß, aber das machte sie nur wütend, trieb sie um so wilder voran, unaufhaltsam und unbesiegbar, dreieinhalb Meter Schulterhöhe und gut sieben Tonnen Gewicht, Schluß mit den Zirkussen, Palankins, Stachelstöcken. Und dann sah sie die zwei lächerlichen Strichmännchen hinter einem Fels hervorspringen – die konnte sie dreimal schlucken und wieder ausspucken.
Es war nicht direkt Panik, am Anfang noch nicht. Bender schoß daneben, und vom heftigen Rückschlag des Gewehrs schien er wie benommen. Bessie Bee kam direkt auf sie zu, nahm sie genau aufs Korn, und Bernard biß sich auf den Schnurrbart und brüllte: »Schieß! Schieß doch, du Idiot!«
Sein Wunsch wurde erfüllt. Endlich feuerte Bender noch einmal – richtete aber nicht viel mehr aus, als dem Vieh ein paar Borsten vom Rücken zu putzen. Da übernahm Bernard, die Nitro im Anschlag, und obwohl er sich an den Löwen erinnerte und bereits Benders jammerndes, meckerndes Genörgel hören konnte, wie er sich beim Mittagessen beschwerte, daß ihm auch diese Trophäe verweigert worden sei, war die Situation eindeutig brenzlig, ja bedrohlich – wer hätte das von Bessie Bee gedacht? –, deshalb drückte er auf den Abzug des großen Gewehrs, daß es mit einem donnernden Ruck losging.
Nichts. Hatte er sie verfehlt? Dann aber wurde er mit einem Mal von einem Erdrutsch erfaßt, er spürte einen Windstoß, roch den strengen Geruch nach Elefant, und dann flog er, wirklich, er flog hoch über die Ebene in den blauen Himmel hinein.
Als er wieder landete, setzte er sich auf und stellte fest, daß seine Schulter aus dem Gelenk gesprungen war, und daß ihm irgendeine Flüssigkeit – Blut, sein eigenes Blut – die Sicht im rechten Augen verdunkelte. Er hatte einen Schock, dachte er und sprach es laut vor sich hin, wieder und wieder: »Ich habe einen Schock, ich habe einen Schock.« Alles schien wie im Nebel, der Arm tat gar nicht sehr weh, obwohl er eigentlich hätte weh tun müssen, ebensowenig die Platzwunde am Kopf. Aber hatte er nicht ein Gewehr gehabt? Wo war das jetzt?
Auf das Geräusch hin, ein energisches Trompeten, blickte er auf und sah, wie Bessie Bee nachdenklich, beinahe zärtlich, ihren Fuß auf Mike Benders dahingestreckter Gestalt rieb. Bender schien nackt zu sein – oder nein, er schien nicht einmal mehr die Haut auf dem Leib zu haben –, und sein Kopf war gewaltig verändert, wirkte auf einmal viel kompakter. Aber noch etwas anderes ging vor, etwas, das die Versicherung niemals wiedergutmachen konnte, da war er sich sicher, wenn auch nur auf vage Weise – »Ich habe einen Schock«, wiederholte er. Dieses Etwas war auch ein Schrei, zweifellos ein menschlicher, doch er wuchs an und packte den vorigen Schrei am Schwanz und kletterte auf ihn drauf, und ehe das Vakuum der Stille sich ganz schließen konnte, erklang ein zweiter Schrei, und dann noch einer, bis sogar das Trompeten des Elefanten dagegen wie ein Flüstern klang.
Es war Mrs. Bender, die Ehefrau, Nicole, eins der hübschesten
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