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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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an.« Ich grübelte gerade noch über einem witzigen Schnörkel, als sie abhob: »Peter?«
    »Nein, hier ist Liberace, auferstanden von den Toten.«
    »Hast du das von den Fröschen gehört?«
    »Ich hab das von den Fröschen gehört. Hast du von meinem Rücken gehört?«
    »Was hat Jerry denn gesagt?«
    »Ich soll viel schlafen und viel Flüssigkeit zu mir nehmen.«
    Sie lachte am anderen Ende der Leitung, ein Gurgeln und Japsen wie das Todesröcheln eines alten Pferds mit Lungenemphysem – ihre ganz persönliche Lache. »Na, dann scheint’s ja nicht so schlimm zu sein«, sagte sie, wobei das Gurgeln und Röcheln eine Oktave höher kletterte und dann abrupt abbrach.
    Ich hatte zwei Tage zuvor eine Kiste mit alten Lehrbüchern in den Keller geschleppt und mir dabei alles gezerrt, was man sich im menschlichen Rücken zerren kann – dabei hatte ich mich ernstlich gefragt, ob ich das noch nie gelesene Exemplar der Landwirtschaft Korsikas von 800 v.Chr. bis heute wirklich aufheben mußte. »Nicht so schlimm für dich vielleicht«, sagte ich. »Oder für Jerry. Aber ich kann mich nicht mal bücken, um mir die Schuhe zu binden.«
    »Ich werd dir ein paar Slipper besorgen.«
    »Du verwöhnst mich. Wirklich. Aber bitte aus Froschhaut, ja?«
    Sie schwieg eine Zeitlang. »Das ist nicht lustig«, sagte sie dann. »Frösche, Kröten und Salamander sind lebenswichtig für die Nahrungskette – wehe, du machst jetzt Witze über Froschschenkel –, und jetzt verschwinden sie einfach. Keiner weiß, was mit ihnen passiert. Puff.«
    Ich überdachte das eine Weile: verschwindende Frösche, insbesondere in bezug auf meinen pochenden und quälenden Rücken. Ich stellte sie mir vor – fett, langbeinig, hervorquellende Augen und glitschige Haut. Ich erinnerte mich, wie ich sie als Junge gejagt hatte, mit stumpfem Pfeil und schlaff gespanntem Bogen, erinnerte mich an das Quaken der Laubfrösche im Frühling und an ihre plumpen Fluchtversuche, die Gliedmaßen völlig verklebt mit langen Fäden von Laich. Frösche. Auf einmal wurde ich nostalgisch: Was wäre die Welt ohne sie?
    »Ich hoffe, du hast fürs Wochenende noch nichts vor«, sagte Adriana.
    »Was sollte ich vorhaben?« fragte ich vorsichtig, denn ich verspürte durch die dünne Schicht aus Muskelfasern und Haut ein warnendes Zucken in der Wirbelsäule. »Wieso?«
    »Ich habe die Tickets schon reserviert.«
    Mein eigenes Atemgeräusch rasselte in meinem Ohr. Nachfragen würde ich bestimmt nicht. Ich holte tief Luft und hielt den Atem an, stoisch auf die Auflösung des Rätsels wartend.
    »Wir fahren zu einem Vortrag an der New York University – auf die Sechste Internationale Jahreskonferenz über Herpetologie und Batrachiologie...«
    Ich hätte nicht nachfragen dürfen, tat es aber dennoch: »Über was?«
    »Schlangen und Frösche«, sagte sie.
    Samstag früh nahmen wir den Zug nach Manhattan. Ich hatte ein Buch als Reiselektüre dabei – einen uralten zerfledderten Band mit dem Titel Das Buch vom Frosch , den ich im hintersten Winkel der völlig geplünderten Abteilung für Frösche und Kröten in unserer Bücherei entdeckt hatte. Staunend betrachtete ich die vielen leeren Regale und fragte mich, was sie für die betroffenen Gattungen und Arten bedeuteten. Offenbar war Adriana nicht die einzige, die sich um den Eilmarsch der Frösche in den Untergang sorgte – entweder das, oder die sechste Klasse mußte eine Arbeit über Amphibien schreiben. Überzeugt war ich nicht, aber ich lieh mir das Buch auf jeden Fall aus.
    Mein Rücken hatte sich etwas gebessert – unten verspannt, oben verkrampft, aber nichts gegen die schneidenden Schmerzen, die ich ein paar Tage zuvor hatte ertragen müssen. Vorbeugend hatte ich ein Kunstlederkissen mitgenommen, um meine geschundenen Wirbel gegen das Rucken und Schaukeln des Pendlerzugs zu wappnen. Adriana lümmelte neben mir, die langen Beine übereinandergeschlagen, den Kopf konzentriert über Mansfield Park gesenkt, das sie nach eigener Berechnung schon zum dreiundzwanzigstenmal wiederlas. Sie gab am Bard College einen Kurs über Jane Austens Romanwerk, aber ich hatte noch nie verstehen können, wie sie es aushielt, immer wieder die gleichen Bücher zu lesen, Semester für Semester, Jahr für Jahr. Es war wie eine Zuchthausstrafe.
    »Ist das wirklich das dreiundzwanzigste Mal?«
    Sie blickte auf. In ihren Augen schimmerten die Spuren einer ausgestorbenen Welt. »Das vierundzwanzigste.«
    »Hast du nicht gesagt, es sei das

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