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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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zu nichts werden. Doch das Träumen hilft bekanntlich wenig, und Marshas neueste Erwerbung, die verzierte Mahagonikommode mit geschnitzten Schubladengriffen, die die Köpfe von Jefferson, Washington und Adams darstellen, paßt einfach nicht in die Garage. In der Garage, die dafür gebaut war, drei große chrombestückte Blechkreuzer der Zwei-Tonnen-Klasse aufzunehmen, hat überhaupt nichts mehr Platz, nicht einmal ein japanischer Fächer, selbst wenn man ihn zum Stilett zusammenfaltete und bis zum Griff in eine waagerechte Spalte schöbe: Es gibt nämlich keine waagerechten Spalten mehr – und senkrechte auch nicht. Die Masse der ineinander verkeilten Sachen, dieser gewaltige, rundum pralle Quader aus Lustobjekten und Totems, aus Erworbenem und Dazuerworbenem, aus Wertvollem und Niedagewesenem, ist so dicht geschichtet wie die Steine von Machu Picchu.
    Längere Zeit steht Julian in der glühenden Hitze der Einfahrt und betrachtet die abstrakte Skulptur der Garage, während der Lieferjunge des Antiquitäten-Basars die Ärmel seines T-Shirts hinauf- und hinunterrollt und zwei vierzehnjährige Mädchen beobachtet, die sich auf dem Gehsteig nähern. Sonne und Hitze sind dem kolonialen Hartholz, aus dem die Kommode gefertigt ist, nicht eben zuträglich, und die Frage, wo das Möbelstück Platz finden soll, gewinnt allmählich kritische Dimensionen. Julian fällt der Schuppen hinter dem Swimmingpool ein, wo die Zeitungen sich zu Hunderten stapeln und in der Marsha ihre Sammlung von brasilianischen Sicheln und Eggen aufbewahrt, doch er verwirft den Gedanken sofort wieder – als er das letztemal dort war, ließ sich nicht einmal die Tür öffnen. Im Lauf der nächsten paar Sekunden hängt er einem Tagtraum nach, in dem er das Schwimmbecken leert und es zu einer Art Souterrain-Lagerhalle umrüstet, und es ist ein schöner, sehr befriedigender Traum, doch letztendlich verwirft er auch ihn. Würde er das Schwimmbecken wirklich leeren, wo sollte Marsha dann ihre museumsreife Sammlung von Walfanggerätschaften aus frühkolonialer Zeit, ihre Bojen und das Schiffsmobiliar aufbewahren, ganz zu schweigen von den zweihundertzwölf antiken Ruderdollen, die derzeit die Umzäunung des Pools krönen?
    Der Blick des Jungen ist völlig leer. Er hat angefangen, unmelodisch zu pfeifen, und bewegt sich unmerklich zu seinem Lieferwagen zurück. »Also, wo wollen Sie’s denn nun hinhaben?« fragt er lustlos.
    Auf den Mond, würde Julian am liebsten sagen. Auf den Saturn. Auf die trostlosen, öden Eisfelder des Pluto. Er zuckt die Achseln. »Auf die Veranda, oder?«
    Die Veranda. Ja. Das Problem ist nur, daß die überdachte, mit Fliegengitter umgebene Veranda schon bis zu den Regenrinnen mit Sideboards, Hochschränken, Butterfässen und Bugholz-Schaukelstühlen vollgestopft ist. Nach einer Viertelstunde bringen sie es zustande, das Ding zwei Drittel der Strecke durch die Tür zu quetschen. »Na ja«, sagt Julian und fühlt dabei sein Herz im Brustkasten herumflattern wie ein faustgroßes Insekt. »Ich denke, das muß reichen.« Er fügt einen Lacher an, doch der klingt knapp und verlegen. »Wegen Regen müssen wir uns sowieso erst im November Sorgen machen.«
    Der Junge atmet nicht einmal schwer. Er ist schmallippig und dünn, wie von Draht zusammengehalten, und er trägt einen dieser Haarschnitte, die den Kopf aussehen lassen, als hätte man ihn verkehrt herum auf. Einen ewigen Moment lang beugt er sich über die Sackkarre, die langen Finger hängen schlaff herab, und er betrachtet Julian, als wäre er von einem anderen Planeten. »Ja, stimmt«, murmelt der Junge schließlich, mustert seine Füße und reißt sich dann hoch, als wollte er nun zurückschweben zu Lieferwagen, Autobahn, Lagerhalle, doch dann hält er abrupt inne. Er sieht Julian an, als hätte er etwas vergessen, und Julian durchwühlt seine Taschen nach drei Dollar, die er dem Jungen für seine Mühe gibt.
    Die Sonne steht am Himmel wie ein lebendiges Wesen, während der Junge den Lieferwagen aus der Einfahrt lenkt, und Julian weiß, daß er mit der Mahagonikommode etwas unternehmen muß – ein Laken darüberbreiten, oder vielleicht eine Plastikplane –, aber irgendwie kann er keine rechte Energie dafür aufbringen. Es wird zuviel für ihn – all diese Objekte, der Anbau, der schon vollgeräumt war, ehe er richtig fertig wurde, die Fertigbauschuppen auf der Wiese hinter dem Haus, die prall gefüllten Schränke, das unbewohnbare Wohnzimmer – und nun das Hinterteil der

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