Fleischessünde (German Edition)
Gesetz, das es verbietet.“
„Sie spricht die Wahrheit“, bemerkte Beset.
„Sie beugt die Wahrheit. Das Verbot ergibt sich eindeutig.“
„… ist aber nicht ausdrücklich niedergelegt“, beharrte Calliope.
„Verrat“, beschied Hathor.
„Eine Situationsentscheidung“, erwiderte Calliope. „Eine Entscheidung zugunsten allein des Kollektivs.“
„Erklär dich näher“, forderte Beset sie auf.
„Mein Auftrag war, Pyotr Kuznetsov zu holen. Der Erfolg dieser Mission wurde mir von einem Reaper streitig gemacht. Ich stand vor der Wahl, mir entweder mithilfe seines Bluts seine Kräfte anzueignen, um meinen Auftrag erfüllen zu können, oder damit zu scheitern. Da ich um die große Bedeutung dieses Auftrags für die Garde und alle Isistöchter wusste, habe ich mich für seine Erfüllung entschieden.“
Sie fragte sich, ob die Matriarchinnen wohl eine Vorstellung davon hatten, welche Überwindung es sie gekostet hatte, ob sie wussten, wie schlecht ihr allein bei dem Gedanken daran geworden war. Und wie sehr sie sich selbst dafür gehasst hatte, das Blut des Reapers trotz allem köstlich zu finden.
„Aber du bist jetzt mit ihm verbunden“, stellte Amunet fest.
Das war fraglos das Risiko, das Calliope eingegangen war. Blut zu nehmen, hieß auch, eine Verbindung herzustellen mit dem, von dem man es genommen hatte. Das war der wesentliche Grund, warum die Mitglieder der Garde nicht das Blut von Supernaturals trinken sollten, denn die Verbindung bestand in beide Richtungen. Mit anderen Worten wurde so etwas wie eine deutliche Spur zur Garde gelegt.
Calliope dachte an den Traum, den sie vor ihrem Aufstieg zur Burg gehabt hatte. Nun musste ein Traum noch nicht bedeuten, dass eine Verbindung hergestellt war. Ebenso gut war es möglich, dass ihre Fantasie ihr einen Streich gespielt hatte. Wenn Malthus Krayl sie wirklich aufgespürt hätte, wäre er sicherlich gekommen, um sie zu zerstören, statt sie zu küssen, nach allem, was sie ihm vorher angetan hatte – seinen Wagen gestohlen, Kuznetsov weggeschnappt, ihn brennend mit den Feuerdämonen zurückgelassen.
„Unten am Fuß des Bergs habe ich kurz Rast gemacht und geschlafen, bevor ich hierher heraufgekommen bin. Da ist mir im Traum der Reaper erschienen“, berichtete Calliope wahrheitsgemäß.
„Bist du sicher, dass es nur ein Traum war und keine wirkliche Verbindung?“
„Ich habe keine gespürt. Und ich spüre auch jetzt keine.“
„Nein?“, fragte Beset nach. „Aber hast du sie denn gesucht? Hast du versucht, sie herzustellen?“
„Nein.“ Calliope verspürte auch keinen Bedarf, es zu tun.
„Dann versuch es jetzt.“
Calliope schluckte. Aber damit hatte sie rechnen müssen. Es war nur folgerichtig, dass das von ihr verlangt wurde. Die Matriarchinnen mussten sich vergewissern, ob sie imstande war, in die Gedanken des Reapers zu schlüpfen oder nicht.
Darüber zu diskutieren war zwecklos. Sie atmete einmal tief durch. Es musste getan werden. Was für eine bittere Ironie, wennausgerechnet sie es sein sollte, die den Reapern den Weg zum Hauptquartier der Garde wies.
„Wenn es dir gelingt und du ihn aufspürst, werden wir es merken“, sagte Hathor. „Dann ist deine Freiheit auf immer verwirkt. Wenn du mit seinen Augen sehen kannst, müssen wir davon ausgehen, dass auch er durch deine Augen sehen kann. Wir können nicht riskieren, dass er diesen Ort hier findet und uns entdeckt. Das verstehst du vielleicht.“
Calliope musste beinahe lächeln. Ob sie es verstand oder nicht – spielte das noch eine Rolle? Wurde sie noch gefragt, was sie wollte? Sie wollte am Leben bleiben und ihre Freiheit wahren. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie nie das verfluchte Blut des Reapers gekostet. Aber wie sie es schon erklärt hatte, war ihr nichts anderes übrig geblieben, um ihren Auftrag zu erfüllen. „Ja, das verstehe ich“, sagte sie schließlich. Es war ihr ein Gräuel, sich vorzustellen, dass er sich in ihre Gedanken einschleichen und ihre Geheimnisse ausspionieren könnte.
Als ahnte sie Calliopes Bedenken, wandte sich Amunet an sie: „Mach dir keine allzu großen Sorgen. Wenn es gelingt, eine Verbindung herzustellen, wird er nicht alles von dir erfahren. So eine Verbindung ist mehr wie ein Traum und hat nichts mit Gedankenlesen zu tun. Es ist ein eher unbestimmtes Gefühl, dass der, zu dem die Verbindung besteht, da ist. Vielleicht kann er für einen Moment das sehen, was deine Augen gerade sehen, oder du siehst, was er sieht. Aber
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