Fleischessünde (German Edition)
es der Seelensammler war, der sie geholt hatte. Einen Augenblick lang fragte sie sich, ob die Matriarchinnen nicht von vornherein Bescheid gewusst hatten. Sie erinnerte sich noch lebhaft daran, wie Beset ihr Blut auf dem Messer geprüft und dann gesagt hatte, alles sei, wie es sein sollte. Sie hatte da schon das Gefühl gehabt, dass die drei wesentlich mehr durchschauten, als sie preisgaben. Macht und politisches Ränkespiel gehörten wohl schon immer zusammen.
Calliope drehte sich halb um und sah aus den Augenwinkeln Malthus an den Türrahmen gelehnt im Durchgang zur Küche stehen. Er beobachtete sie. Dann sagte sie laut: „Er kann ja malversuchen, mich am Telefonieren zu hindern. Das möchte ich erleben.“
Malthus schmunzelte im Hintergrund.
„Wir wussten schon, dass wir infiltriert worden sind“, erklärte Zalika. „Wir haben drei Feuerdämonen enttarnt, die sich, alle mit dem Isismal gezeichnet, in die unteren Ränge eingeschlichen haben. Ich bin gerade dabei zu untersuchen, wie das geschehen konnte. Einen davon haben wir bewusstlos in deiner Zelle gefunden.“ Sie schwieg einen Augenblick. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.“
Die letzte Bemerkung rührte Calliope zutiefst. Dennoch hütete sie sich, das zu äußern, da sie wusste, dass Zalika das unangenehm sein würde. Stattdessen sagte sie: „Also Feuerdämonen. Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass sie keine von uns sein könnte.“ Sie merkte, wie Malthus die Ohren gespitzt hatte, als die Feuerdämonen erwähnt wurden.
„Du hast gedacht, eine von uns sei ausgesandt worden, um dich zu töten?“
„Ja.“ Tausend Fragen schwirrten Calliope im Kopf herum. Wie hatte es Xaphan gelingen können, die Isisgarde zu infiltrieren, und wie war es seinen Bräuten gelungen, die Isistöchter mit einer Maskerade zu täuschen? Warum hatten sie sie, Calliope, im Visier?
Aus dem Hörer hörte Calliope Stimmengewirr und geschäftiges Umherlaufen. Sie wusste, dass es Notfallpläne gab, die regelten, wie die Festung im Falle eines Angriffs geräumt und alles von Wert in Sicherheit gebracht werden sollte, bevor die Anlage sich selbst zerstörte. Dem Lärm um Zalika herum nach zu urteilen, waren die Vorbereitungen dazu schon in vollem Gange.
„Ich muss jetzt Schluss machen“, sagte Zalika. „Ich werde den Matriarchinnen berichten, dass du dich gemeldet hast. Das unterstreicht deine Glaubwürdigkeit.“
„Deshalb habe ich das nicht getan.“
„Das weiß ich. Pass auf dich auf, Calliope.“
„Du auch.“
Im nächsten Augenblick war die Leitung tot.
„Was geschieht jetzt mit dir?“, wollte Malthus wissen.
Das war eine gute Frage. „Tja, was passiert jetzt mit mir?“, wiederholte sie ratlos. Sie wusste es selbst nicht. Anderthalb Jahrhunderte lang hatte ihr Leben anderen gehört als ihr. Jetzt hatte sie ihr Leben plötzlich selbst in der Hand und keine Ahnung, was sie damit anfangen sollte. Sie war immer ein winziges Rädchen in einer großen Maschine gewesen und hatte sich bemüht, ein besonders gutes Rädchen zu sein.
Sie wandte sich ab und schaute aus dem Fenster über der Küchenspüle. Erste Regentropfen klatschten an die Scheibe. Alles, was ihr vertraut gewesen war, hatte sich in Nichts aufgelöst, und das innerhalb von wenigen Tagen. Sie hatte es beinahe geahnt. Schon als sie sich dazu entschlossen hatte, das Blut des Reapers zu nehmen, hatte sie das Gefühl gehabt, sie würde ihr bisheriges Leben wegwerfen. Und war es das wert gewesen? Es kam darauf an, was die Matriarchinnen aus Kuznetsov herausbekommen hatten. Leider würde sie das nie erfahren.
Der Reaper. Immer war er nur der Reaper oder eben Malthus Krayl für sie. Das war gut, das hatte geholfen, den Sicherheitsabstand zu ihm zu halten. Er hatte ihr angeboten, ihn Mal zu nennen. Das hatte sie anfangs abwegig gefunden, fand es aber aus irgendeinem Grund jetzt gar nicht mehr unangemessen. Im Gegenteil. Es kam ihr jetzt viel angebrachter vor – und angenehmer.
Sie drehte sich zu Malthus um. Er stand noch immer im Türrahmen. Gegen das Licht in der Halle wirkte er wie ein Schattenriss, groß, beinahe riesig, mit breiten Schultern.
„Du stellst Fragen über Dinge, die dich nichts angehen“, sagte sie.
Er stieß sich mit der Schulter ab und kam auf sie zu. Seine schattenhafte Gestalt bewegte sich kraftvoll und geschmeidig im bleiernen Grau des Zwielichts, das in der Küche herrschte.
„Sag es mir trotzdem“, forderte er sie auf.
Sie zuckte resigniert die Schultern.
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