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Fliege machen

Fliege machen

Titel: Fliege machen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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herum. Als würden wir uns auf einer anderen Zeitschiene
befinden, am selben Ort wie die ganzen Menschen um uns herum und doch allein.
Wie die ruhelosen Seelen Verstorbener, deren kalten Lufthauch man ignorierte,
weil man gar nicht darüber nachdenken wollte, was man da bemerkt hatte.

    Die Dicke hielt der Schwangeren eine gelbliche Packung
Zigaretten hin. Das dritte Mädchen war eine große Dünne mit Glatze. Auf ihrer
linken Kopfhälfte hockte eine auftätowierte Spinne, deren haarige Beine bis in
die Stirn der jungen Frau ragten. Passte stylisch hervorragend zu den
Vampir-Piercings der Schwangeren.

    Ich klemmte mir eine Zigarette zwischen die lila Lippen
und zögerte nicht lange, die beiden anzusprechen: »Hat eine von euch mal
Feuer?«

    Die Mädchen musterten meine Frisur, mein überschminktes
Gesicht und meine übereinander geschichteten Klamotten. Interessanterweise war
eine Veränderung meiner Kleidung für meine neue Rolle gar nicht notwendig
gewesen. Heute trug ich das lilafarbene Modell meiner verschiedenen knielangen
Wollpullis zuoberst, der Saum ragte gute zwanzig Zentimeter unter meiner Cordjacke
hervor.

    Ich betrachtete die Spinnenfrau, weil ich sie noch nicht
kannte. Sie war wirklich sehr dünn. Mit Haaren auf dem Kopf hätte sie gut
aussehen können. Mehr noch, schön. Sie hatte dunkelblaue Augen über markanten
Wangenknochen und einer auffallend geraden Nase. Hätte sie sich das Riesenkriechtier
nicht auf den Schädel tätowiert, wäre sie als Kandidatin für Heidi Klums
lustige Kleiderständersuche infrage gekommen.

    Die Schwangere hielt mir ein Feuerzeug unter die Kippe.

    Natürlich brachte ich Verständnis für Kinder auf, die versuchten,
nicht hübsch und vorzeigbar zu wirken. Jahrelang hatte ich selbst alles getan,
um kein niedliches, naturblondes Oberstaatsanwalts-Töchterlein zu sein.

    Allerdings hatte ich mir selbst im schlimmsten Anfall von
Selbstzerstörung kein Piercing oder Tattoo verpassen lassen. Nicht weil ich mit
vierzehn schon die Weitsicht besessen hätte, dass eine Tätowierung
möglicherweise nicht mehr schick war, wenn ich vier Kinder bekommen und dreißig
Kilo Übergewicht haben würde. Oder wider Erwarten mein fünfundsechzigstes
Lebensjahr erreichte.

    Obwohl meine Eltern sicher entzückt gewesen wären, hatte
ich auf Tätowierungen und Ähnliches verzichtet, weil ich kein Erkennungszeichen
haben wollte, an dem man mich schon von Weitem identifizieren konnte.

    Bis auf feine Narben und das Metallimplantat, mit dem man
meinen Kiefer zusammengeflickt hatte, war mein Körper unversehrt. Dabei hatte
ich als Teenager im Traum nicht daran gedacht, dass das in meinem späteren Job
als Privatdetektivin mal nützlich sein könnte.

    Ich schätzte, die Spinnenbeine in ihrem Gesicht würden
die Kahlrasierte in ihrer Berufswahl ein wenig einschränken. All diese Gedanken
gingen mir durch den Kopf, während ich das erste Mal an meiner Zigarette zog.

    Â»Wo kann man denn hier pennen?«, versuchte ich, ein Gespräch
in Gang zu bringen.

    Â»Stress zu Hause?«

    Â»Jau.«

    Alle drei nickten verständnisvoll.

    Â»Machste das erste Mal Platte?«, kläffte mich die Dicke
an. Ihre fleischigen Wangen hingen herunter wie bei einigen, nicht gerade
putzigen Hunderassen. Ihr kurzer Mund dazwischen wirkte zusammengeschoben und
seine Winkel folgten ebenfalls der Schwerkraft.

    Was machte ich? Platte? Ich verstand kein Wort. Aber
immerhin funktionierte mein Punker-Outfit. Die Mädchen schienen keinen Gedanken
daran zu verschwenden, dass ich erst gestern Abend bei ihnen geschnorrt hatte.

    Â»Kennen wir uns nicht von irgendwo?«, bemerkte im gleichen
Augenblick jedoch die Schwangere. Offensichtlich besaß sie das bessere
Gedächtnis.

    Â»War schon ’n paarmal hier«, bot ich ihr schnell eine Erklärung
an. »Bin dann aber doch wieder zu meinen Alten zurück.«

    Wieder verständnisvolles Nicken.

    Â»Aber heute ist Schluss«, fuhr ich fort. »Die sehen mich
nicht wieder.«

    Â»Biste schon achtzehn?«

    Ich versuchte, das Alter der drei zu schätzen. Die Dicke
und die Tätowierte konnten schon volljährig sein, die Schwangere sicher nicht.

    Â»Im Oktober.«

    Die Schwangere pustete mir ihren Zigarettenrauch ins Gesicht.

    Â»Dann haste bald ’n Streetworker am Arsch kleben«, informierte
sie mich. Sie hatte ein sehr junges,

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