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Fliege machen

Fliege machen

Titel: Fliege machen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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Allerdings mehr vor Wut als vor
Schmerz, wie mir ihr empörtes Schnaufen verriet.

    Hinter Danner sprang eine Tür auf. Staschek stürmte in
den Flur, gefolgt von einem weiteren Polizisten. Und hinter den Männern tauchte
das strenge Reitlehrerinnengesicht der übereifrigen Frau Wegner auf. Ihr
langer, dünner Hals wuchs in die Höhe wie der Korb am Ende einer Feuerwehrleiter.

    Â»Lass es sein«, ächzte ich. »Bringt doch eh nix!«

    Dicke atmete scharf ein. Ich spürte, wie sich unter der
Kleidung und ihren Fettschichten eine unkontrollierbare Spannung aufbaute. Mein
Griff schloss sich fester um ihre verbogenen Finger.

    Â»Frau Meier! Sie sind hier in einer Polizeidienststelle!«
Staschek rannte auf uns zu.

    Â»Engel hat mich angerufen«, versuchte ich, Dicke zu beruhigen,
doch sie hörte mich nicht. Ich konnte das Brodeln der in ihr anschwellenden Wut
fühlen. Eine Wut, die, einmal ausgelöst, nicht mehr zu stoppen war, die sich in
einer Explosion entladen musste. Egal, ob ihr Gegner oder sie selbst dabei
draufging. Dicke war eine Bombe, begriff ich. Und sie tickte.

    Ich verstärkte den Druck auf ihre nach hinten gebogenen
Finger. Mein Griff musste höllisch wehtun.

    Staschek packte Dicke an der Schulter.

    Fehler!

    Sie explodierte, brüllend vor Zorn.

    Deutlich registrierte ich das Knacken, mit dem ein Gelenk
auskugelte. Doch Dicke selbst schien nichts zu merken. Sie warf sich gegen
mich, drückte mich gegen die Flurwand. Die Wucht ihres Stoßes presste mir
zischend die Luft aus den Lungen. Wie ein strauchelnder Stier warf sich das
tobende Mädchen zur anderen Seite, rammte Staschek, der sie nicht festhalten konnte,
und taumelte auf Danner zu.

    Danner packte Dicke am Arm.

    Sie hob die rechte Hand, doch ihre Finger krampfen sich
zu einer Kralle zusammen. Danner stieß das Mädchen gegen die nächste Wand und
im gleichen Augenblick kamen ihm Staschek und ein weiterer, junger Beamter zu
Hilfe.

    Â»Frau Meier, ich verhafte Sie wegen versuchter Körperverletzung,
Angriff auf Polizeibeamte, Widerstand gegen die Staatsgewalt …«, begann der
jüngere Polizist eifrig, seinen Text herunterzubeten, während er Handschellen
hervorfummelte.

    Frau Wegner beobachtete den Vorfall von der Tür des
Verhörzimmers aus, wo jetzt auch Engel um die Ecke lugte und erschrocken
verfolgte, wie ihre Freundin abgeführt wurde.

    Hinter den beiden reckte der Krötenretter das zottelige
Zeckennest, das er eine Frisur nannte, in die Höhe.

    Dickes Gesicht blieb ausdruckslos. Ihr verdrehter Arm und
der ausgekugelte Finger mussten sie eigentlich Sterne sehen lassen vor Schmerz,
doch sie verzog keine Miene. So, als spürte sie den Schmerz gar nicht.

    Staschek lotste Engel und den Sozialarbeiter zurück ins
Verhörzimmer. Danner und Frau Wegner folgten ihnen.

    Das Messer war
klein und leicht, ein Nullachtfünfzehn-Gemüseschäler mit schwarzem
Plastikgriff. Ich fuhr mit der Klinge leicht über die glatte, warme Haut meines
nackten Oberschenkels. Natürlich eine Stelle, die man unter der Kleidung nicht
sah. Die Klinge war nicht mehr neu und ich spürte winzige, feine Zacken über
meine Haut kratzen. Ich umfasste das Hartplastik fester, nahm wahr, wie meine
Haut zerriss. Blut quoll aus dem Schnitt, sammelte sich kurz, bevor es über
meinen Schenkel rann. Eigentlich hätte das doch wehtun müssen …?

    Ich stand noch immer im Flur. Ein paar kurze Augenblicke
hatte ich verstanden, wie Dicke tickte.

    Â 

37.

    Â»Lila!« Erleichterung spiegelte sich in
Engels Augen, als ich das Verhörzimmer betrat. »Hagen will mir das Baby wegnehmen.
Das kann er nicht, oder?«

    Der Raum war kahl und klein, die Oberfläche des Tisches
abwischbar, die Wände reizarm weiß.

    Es gab den obligatorischen Spiegel, hinter dem sich in Fernsehserien
gewöhnlich weitere Polizisten, Staatsanwälte, Psychologen, Antiterrorkommandos,
ganze Klassen von Kriminalkommissarazubis, der Verteidigungsminister und die
Bundeskanzlerin versammelten, um ein Verhör zu verfolgen. Außerdem gab es eine
schalldichte Tür und eine Überwachungskamera.

    Der Krötenretter hatte sich neben Engel niedergelassen.
Doch schien er keine beruhigende Wirkung auf das Mädchen zu haben.

    Â»Niemand will dir das Kind wegnehmen«, erklärte er bestimmt.
»Aber du musst zugeben, dass du im Augenblick mit dir selbst mehr als genug zu
tun

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