Fliegende Fetzen
Aufmerk-
samkeit zu beanspruchen. Nun, wie ich Ronnie kenne, braucht er einen
Hammer dazu.«
Mumm hatte sich schon vor einer ganzen Weile daran gewöhnt, daß
sich die Angehörigen der Aristokratie gegenseitig beim Vornamen nann-
ten.
»Und hat dir Fred sonst noch etwas gesagt?« fragte er zaghaft.
»Ja. Er erzählte auch vom Lokal, dem Feuer und so weiter. Ich bin stolz auf dich.« Sybil gab ihm einen Kuß.
»Was mache ich jetzt?« brachte Mumm hervor.
»Trink erst einmal deinen Tee. Anschließend wäschst und rasierst du
dich.«
»Ich sol te zum Wachhaus gehen und…«
»Waschen und Rasieren! Im Krug ist warmes Wasser.«
Als Sybil gegangen war, stand Mumm auf und wankte ins Badezimmer.
Auf dem marmornen Becken stand tatsächlich ein großer Krug mit
warmem Wasser.
Er betrachtete das Gesicht im Spiegel. Unglücklicherweise gehörte es
ihm. Wenn er sich zuerst rasierte… dann konnte er jene Teile wegspülen,
die übrigblieben.
Fragmente der vergangenen Nacht zogen immer wieder an seinem in-
neren Auge vorbei. Das mit dem klatschianischen Wächter tat ihm leid,
aber manchmal konnte man sich nicht genug Zeit nehmen, die Dinge zu
erklären…
Er bedauerte jetzt, daß er sich einfach so von seiner Dienstmarke ge-
trennt hatte. Die Zeiten hatten sich geändert. Er trug jetzt Verantwortung.
Er hätte im Amt bleiben und dafür sorgen sol en, daß al es etwas weniger
schlimm wurde…
Nein. So etwas funktionierte nie.
Er schaffte es, den Seifenschaum im Gesicht zu verteilen. Die Auf-
ruhrakte! Bei den Göttern… Vorsichtig ließ er die Rasierklinge über die
Wange gleiten. Rusts trübe Augen blickten aus seinen Erinnerungen.
Mistkerl! Männer wie er hielten die Wache tatsächlich für eine Art Schä-
ferhund, dessen Gebel den Schafen den richtigen Weg zeigte und der es
auf keinen Fall wagte, den Schäfer zu beißen…
O ja. Mumm wußte ganz genau, wo der Feind steckte.
Aber…
Ohne seine Dienstmarke war er kein Wächter mehr und konnte nichts
ausrichten…
Noch eine Erinnerung regte sich, etwas später als die anderen.
Seifenschaum tropfte auf Mumms Hemd, als er Vetinaris versiegelten
Brief hervorholte und ihn mit dem Rasiermesser öffnete.
Im Innern befand sich ein leeres Blatt Papier. Er drehte es hin und her
– weder auf der einen noch auf der anderen Seite stand etwas geschrie-
ben. Verwundert betrachtete Mumm den Umschlag.
Sir Samuel Mumm, Ritter.
Nett von dem Patrizier, so genau zu sein, dachte er. Aber welchen Sinn
hatte es, eine Mitteilung zu schicken, die überhaupt nichts mitteilte? An-
dere Leute hätten vielleicht geistesabwesend ein leeres Blatt in den Um-
schlag gesteckt, aber Lord Vetinari sicher nicht. Warum schickte er einen
Brief, in dem er Mumm daran erinnerte, daß er ein Ritter war? Diese
peinliche Tatsache war ihm durchaus bewußt…
Eine weitere Erinnerungsblase zerplatzte, nicht lauter als bei einer
Maus, die während eines Orkans Luft aus ihrem Darm entweichen ließ.
Wer hatte davon gesprochen? Jeder Gentleman…
Mumm starrte ins Nichts. Er hatte doch den Status eines Gentlemans,
oder? Es war offiziel .
Er gab keinen Schrei von sich, und er lief nicht los. Statt dessen beendete er die Rasur, wusch sich und wechselte in al er Ruhe die Unterwäsche.
Unten hatte Sybil eine Mahlzeit für ihn vorbereitet. Sie war keine be-
sonders gute Köchin, doch für Mumm gab es daran nichts auszusetzen,
denn er war auch kein besonders guter Esser. Nachdem er sich ein Le-
ben lang auf und manchmal auch von der Straße ernährt hatte, bevor-
zugte sein Magen kleine, knusprige und braune Dinge, die Nahrungs-
gruppe der Götter. Und bei Sybil konnte er sich darauf verlassen, daß sie
die Pfanne immer zu lange auf dem Drachen ließ.
Sie musterte ihn aufmerksam, als er angebranntes Rührei aß und dabei
ins Leere blickte. Sie verhielt sich wie eine Person, die ein tragbares Si-cherheitsnetz bei sich hatte und einem Drahtseilakrobaten zusah.
Nach einer Weile nahm sich Mumm das Würstchen vor und fragte:
»Haben wir Bücher übers Rittertum, Schatz?«
»Hunderte, Sam.«
»Gibt es auch eins, in dem steht, was es damit auf sich hat? Ich meine,
was man als Ritter tun muß, zum Beispiel? Welche Verantwortung man
trägt und so weiter?«
»Ich schätze, die meisten geben darüber Auskunft.«
»Gut. Ich glaube, ich lese ein wenig.« Mumm bohrte die Gabel in den
Schinken, der mit einem angemessenen Knirschen splitterte.
Nach dem Essen begab er sich in die
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