Fliegende Fische Band (Junge Liebe ) (German Edition)
an der Kreuzung den nicht vorhandenen Verkehr.
„Bier?“, sagt Lilli.
„Gerne.“
Lilli reicht ihm eine kalte Flasche rüber und er nimmt einen Schluck.
„Wie viele habt ihr davon?“, fragt er.
„Nur eine für jeden“, sagt Jo. „Wir müssen schließlich hier auch wieder runter.“
„Sehr sinnvoll.“
„Gibt auch Kaffee, in der Thermoskanne“, sagt Lilli und kramt im Rucksack. „Und Kuchen. Oh. Zermatschten Kuchen. Wer von euch Grobmotorikern hat sich auf den Rucksack gesetzt?“
„Die gleiche weibliche Person, die den Kuchen unter die Thermoskanne gepackt hat“, grinst Jo.
„Du kannst der weiblichen Person dankbar sein, dass sie sich für dich überhaupt in die Küche stellt“, erwidert Lilli und weil Jo nicht die angemessene Dankbarkeit zeigt, hilft sie nach und aus Jo und Lilli wird ein quiekender, zappelnder Knoten aus Armen und Beinen, der erst zur Ruhe kommt, als sie anfangen, sich zu küssen.
Daniel ist ganz froh, dass keiner der beiden über Bord gegangen ist. Trotzdem würde er sich wünschen, sie würden mit dem öffentlichen Küssen aufhören. Er kommt sich überflüssig vor und weiß nicht recht, wo er hinsehen soll. Also beschäftigt er sich mit seinem Bier und schaut hinunter auf die stille Stadt.
Nicht lange allerdings, denn plötzlich versperren ihm lange Jeansbeine die Sicht. Mick steigt über Daniels Füße und lässt sich zwischen Daniel und Lilli auf die Isomatte fallen, wo es eigentlich viel zu eng für eine weitere Person ist. Eilig macht Daniel Platz. Das Manöver befördert ihn über den Rand seiner Isomatte hinaus auf den kalten Boden, aber zumindest sitzt Mick jetzt nicht mehr auf Daniels Beinen.
„Schmeckt’s?“, fragt Mick Jo, dessen Lippen immer noch mit denen von Lilli verschmolzen sind und handelt sich eine beiläufige Kopfnuss ein.
Daniel findet es tröstlich zu sehen, dass Mick das gleiche Problem hat wie er selbst, auch wenn er völlig anders damit umgeht.
Einstweilen fummelt Mick im Inneren seiner Lederjacke herum und fördert schließlich zwei Ohrstöpsel zu Tage, die an seinem MP3-Player hängen.
„Musik?“, fragt Mick.
„Ja“, sagt Daniel. „Gerne.“
Mick reicht ihm einen der Lautsprecher und Daniel klemmt sich das käferkleine Ding ins Ohr und lehnt sich gleichzeitig ein wenig hinüber, damit das Kabel reicht. Es ist das erste Ritual einer kurzen Freundschaft, genauso wie die Tatsache, dass Daniel sich von Micks Musikauswahl überraschen lässt.
Mick beginnt diesmal mit ein paar alten Sachen aus den Achtzigern, vermischt mit ein paar pompösen orchestralen Stücken, die wie Filmmusik klingen, schwenkt dann um zu Mittelalter-Hardrock, In Extremo oder Subway to Sally, Daniel ist nicht sicher, und sucht dann ziemlich lange im Menü herum, bis er einen bestimmten Titel gefunden hat, „Let there be love“, ein überraschend sanfter Oasis-Titel, den er schon kürzlich im Auto mitgesungen hat.
Diesmal singt er nicht, sondern lauscht mit geschlossenen Augen und wippt mit den Zehenspitzen im Takt.
Vorsichtig sieht Daniel zu Mick hinüber. Der Nachtwind streicht ihm durch die Locken. Die Wimpern liegen ihm wie kleine schwarze Halbmonde auf den Wangen. Seine blasse Haut trägt die Reste der Schlägerei, ein wenig Schorf und ein dunkler Schatten unter dem Auge.
Er sieht aus wie der Prinz aus einem der tschechischen Märchenfilme, die Daniels Mutter so mag, schön und traurig, aber dann ist es vielleicht auch nur die Musik, die Schatten auf seinem Gesicht erzeugt.
Daniel lässt die Musik in sich strömen, trinkt Bier und schaut hinunter auf die Stadt, die plötzlich nur da ist, um dem tschechischen Märchenprinz einen Mantel aus Lichtern um die Schultern zu legen.
Er hört Lilli und Jo lachen und Worte wechseln. Er hält sich das freie Ohr zu. Er will nicht auftauchen aus dieser Musikblase, aus diesem Miniatur-Kosmos, in dem er mit Mick verkabelt ist.
Jedenfalls nicht, bevor er muss; bevor das Lied zu Ende ist und Mick beginnt, wieder im Menü zu scrollen und sich gleichzeitig mit der freien Hand eine Zigarette anzündet.
„Kippe?“, fragt er.
„Nein!“, sagt Daniel. „Asthmatiker. Immer noch.“
Mick zuckt die Achseln und inhaliert tief. Das glühende Ende seiner Zigarette wirft einen flüchtigen goldenen Schatten über sein Gesicht.
„Erzähl mir etwas Wichtiges über dich“, sagt er. „Sag mir, wovon du träumst.“
„Was?“, sagt Daniel verwirrt. „Warum?“
„Weil ich etwas über dich wissen will, das sonst keiner
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