Flieh, so schnell es geht!

weit gehen. Über den Zaun und links den Weg hinunter nach Marsh View.
    Frag mich nicht, warum das so heißt. So was wie einen Sumpf gibt es in der Gegend nicht und ein Aussichtspunkt ist es auch nicht. Aber andererseits kein unpassender Name für ein schäbiges Mietshaus am Rand einer Siedlung.
    Denn genau das ist es. Siehst du es? Der öde Bau da ist Marsh View.
    Und ich sage dir noch was, Bigeyes.
    Dorthin wollte ich uns vergangene Nacht führen. Das ist der Ort, von dem ich Bex nichts sagen wollte. Du wirst dich fragen warum, so wie Bex.
    Ich hatte einen Plan oder so was Ähnliches.
    Ich könnte es immer noch machen, wenn ich das wollte. Abhauen, meine ich. Aber wir wissen ja, dass ich es doch nicht tue. Der Plan hat sich erledigt, also mache ich hier was anderes.
    Also weiter. Jetzt muss ich höllisch aufpassen. Lautlos, geduckt und im Schatten gehen. Am besten sieht uns niemand kommen und gehen. Und falls uns doch jemand sieht, soll er sich an nichts erinnern. Also aufgepasst. Eine komische kleine Siedlung, die meisten schlafen hier, aber es gibt auch ein paar Krakeeler.
    Still jetzt. Geduckt und in gemäßigtem Tempo, immer rechts und links spähen. Der Regen hat auch sein Gutes. Niemand draußen, abgesehen von den zwei Frauen auf dem Bürgersteig gegenüber, aber die haben es eilig.
    Die Brille mag ich nicht mehr tragen, zumal jetzt auch die Gläser beschlagen sind. Schmeiß sie in die nächste Mülltonne, geh locker weiter, immer schön lässig. So, da wären wir.
    Marsh End.
    Na, was hab ich dir gesagt? Öde, nicht wahr? Man muss schon hirntot sein, um in so einem Haus zu wohnen. Zu unserem Glück gibt es so einen Typen, aber wir wollen nicht seine Hütte besichtigen.
    Wir wollen sein Auto klauen.
    Zerbrich dir nicht den Kopf, wie ich das machen werde. Frag nicht weiter und halt die Augen offen.
    Okay, jetzt um den Bau herum und dann zu den Garagen. Wir haben es auf die letzte in der Reihe abgesehen. Dürfte nicht abgeschlossen sein, es sei denn, der Kerl wäre über Nacht zum Heimwerker geworden und hätte das Tor repariert. Das hat er sicherlich nicht, das ist ein Schlamper.
    Wachsam bleiben. Wir dürfen uns nicht sicher fühlen, bloß weil es regnet und niemand auf der Straße ist. Die Garagen kann man von den Fenstern aus sehen. Hier wohnen Leute und die haben neugierige Augen und lose Mäuler.
    Hoffentlich guckt nicht gerade jetzt einer. Ich sehe niemanden, aber wir werden trotzdem schnell machen. So, das ist die letzte Garage. Hand auf die Klinke. Was hab ich dir gesagt?
    Nicht verschlossen.
    Und warum? Weil ich vor zwei Jahren ein bisschen Sekundenkleber ins Schloss gespritzt habe. Nicht so, dass es auffällt – dem Schlamper schon gar nicht –, aber es reicht, um den Mechanismus zu blockieren. Die Tür schließt zwar, aber das Schloss schnappt nicht ein. Und das hat er noch nicht repariert.
    Nicht, dass ich oft hierherkomme. Ich benutze die Garage nur, wenn meine Hütten besetzt sind und ich sonst keinen anderen Schlafplatz finden kann. Ich schleiche mich hier rein und schlafe im Auto. Das ist wärmer und gemütlicher als draußen wie die Penner Platte machen. Und einfacher.
    Denn er schließt auch sein Auto nie ab.
    Schieb das Garagentor hoch, schau hinein, schieb es wieder runter. Endlich im Trockenen, endlich sicher. Drück nicht den Lichtschalter, Bigeyes. Man soll uns nicht sehen. Ich mag die Dunkelheit. Ich sehne mich richtig danach. Und außerdem sehe ich auch so genug.
    Schauen wir uns mal das Auto an.
    Eine alte Kutsche. Wirklich nichts Aufregendes, aber ein paar Monate macht sie es noch, das ist die Hauptsache. Sie ist alt, hat keine Diebstahlsicherung und sieht doch noch halbwegs verkehrstüchtig aus, also werden uns die Bullen wohl in Ruhe lassen.
    Der Mann, dem sie gehört, fährt kaum damit. Woher ich das weiß? Weil ich immer auf den Kilometerzähler schaue, wenn ich vorbeikomme. Und weißt du was?
    In den vergangenen zwölf Monaten ist er nur zehn Kilometer gefahren. Wirklich nur zehn Kilometer. Ich hab mir den Kilometerstand gemerkt. Auch die Benzinuhr zeigt seit Jahren einen zu drei Viertel vollen Tank an.
    Vor zwei Jahren ist er noch mehr gefahren. Nie weit – nur kurze Strecken –, aber immerhin summierte sich das. Im vergangenen Jahr hat sich das geändert. Er hat die Karre kaum benutzt. Ich hab eine Weile gebraucht, bis ich herausgefunden habe warum.
    Sein