Flieh solange du kannst
lächelte, sagte aber nichts.
Um sich abzulenken, drehte Emma sich zur Seite und betrachtete die baumlose, nur mit wenigen Büschen bewachsene Hügellandschaft. “Bist du schon mal in Wyoming gewesen?”, fragte sie.
“In den letzten paar Jahren bin ich ein paar Mal durchgekommen”, sagte er, als sie eine Steigung erreichten.
“Und was hast du da gemacht?”
“Das, was ich immer und überall tue.”
“Und das wäre?”
“Wertpapiergeschäfte per Computer.”
Nun schaute sie ihn doch wieder an – und konnte nicht anders als seine ausdrucksvolle Kinnpartie zu bewundern. “Und? Kannst du das gut?”
Er zuckte mit den Schultern und antwortete nicht. Angesichts des verbeulten Autos musste Emma eigentlich davon ausgehen, dass er nicht besonders erfolgreich war. Aber inzwischen glaubte sie eher, dass er den Wagen nur fuhr, weil es ihm egal war. An Geldmangel schien er jedenfalls nicht zu leiden.
“Und wie ist Wyoming so?”, fragte sie.
“Größtenteils trocken und unfruchtbar. Jetzt kommen wir übrigens in eine Gegend, die auch “Die Drei Schwestern” genannt wird.”
“Und wer sind die drei Schwestern?”
Er deutete aus dem Fenster. “Die Berge dort. Sie sind berüchtigt wegen der harten Winter, die es dort immer gibt.”
“Deshalb stehen auch überall diese Sperren. Auf den Schildern steht, dass die Autobahn im Winter manchmal geschlossen wird.”
“Ja, das kommt hier öfter vor.”
Vom Rücksitz hörten sie, wie Max versuchte, das Wort “Hut” zu buchstabieren.
“Was für ein Glück, dass wir im Sommer unterwegs sind.”
“Da hast du recht.” Preston stellte das Radio aus, weil sich momentan kein Sender richtig einstellen ließ. “Jetzt fahren wir immer weiter in die Berge. Da vorn kommt dann ein toller Aussichtspunkt, das wird dir gefallen.”
Emma gefiel die Aussicht ohnehin schon sehr gut – vor allem die Aussicht auf ihn, aber sie versuchte tapfer, sich nicht zu sehr von Preston beeindrucken zu lassen. Dass sie sich gleich in den ersten Mann verliebte, der ihr nach Manuel über den Weg gelaufen war, konnte ja nur ein großer Fehler sein, oder? Andererseits wollte sie auch nicht zu streng mit sich sein. Natürlich mochte sie Preston gern. Immerhin half er ihr in einer sehr schwierigen Situation. Er beschützte sie, und inzwischen waren sie fast schon so etwas wie ein eingespieltes Team, was ihr sehr gefiel. Aber bestimmt waren ihre Gefühle ihm gegenüber vor allem von Dankbarkeit bestimmt, es konnte gar nichts Ernstes sein, dazu kannten sie sich nicht lange genug.
Andererseits war es einfach wundervoll, ihn einfach nur anzuschauen.
Und das machte es dann doch ein wenig kompliziert, entschied sie. Aber sie sollte sich nicht zu viele Gedanken darüber machen. Nach ihren Erlebnissen mit Manuel sollte sie so lange wie möglich warten, bevor sie sich wieder einem Mann anvertraute. Die Liebe war ein viel zu riskantes Spiel, besonders in ihrer Situation und zumal ein Kind davon betroffen war.
Wenn er merkte, dass sie ihn beobachtete, zuckten seine Augenlider, und dann schaute sie schnell woanders hin. Um sich nicht zu sehr zu verraten, sagte sie jetzt: “Geht das noch lange so steil hinauf?” In der Hoffnung, er würde ihr Gespräch wieder an dem Punkt aufnehmen, an dem es gerade versickert war.
Was er glücklicherweise auch tat. “Es wird noch eine ganze Weile immer wieder auf und ab gehen.”
“Und wie weit werden wir heute noch kommen?”
“Wir können es ja davon abhängig machen, wie lange Max durchhält. Ich würde es gern noch bis Cheyenne schaffen.”
Wie lange Max durchhält? War es nicht eigentlich so, dass Preston den Jungen nicht leiden konnte? Aber neuerdings schien er sich ständig um ihn zu sorgen. Nach dem Mittagessen hatte er ihm eine ganze Baseballausrüstung geschenkt und fast eine Dreiviertelstunde lang mit ihm gespielt. Und dieser teure Lerncomputer …
“Wie weit ist es bis Cheyenne?”, fragte sie.
“Ungefähr fünfhundert Kilometer.”
“Cheyenne ist doch die Hauptstadt, nicht wahr? Ist es denn eine große Stadt?”
“Die größte Stadt von Wyoming. Cheyenne hat fünfzigtausend Einwohner, glaube ich, aber im ganzen Staat leben weniger als eine halbe Million.”
“Man sieht ja, warum”, sagte sie und sah zum Fenster hinaus auf die Wildnis, die sie durchquerten. “Wovon leben die Leute hier denn?”
“Landwirtschaft, Bergbau, Öl und Erdgas. Ein Stück weiter vorn kommen dann die Trona-Minen.”
“Was ist denn Trona?”
“Ein
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