Flieh solange du kannst
sagte er überhaupt nichts mehr.
Manuel saß in einem Restaurant in Salt Lake City. Als die Kellnerin auf ihn zuging, um seine Bestellung entgegenzunehmen, machte er ihr ein Zeichen, dass sie verschwinden solle. Er wollte jetzt keine störenden Geräusche um sich herum haben. Aus dem Apparat erklang Vanessas Stimme, da war er sich ganz sicher.
Er presste das Handy fest ans Ohr, hielt den Atem an und hörte genau zu. Zwei Autotüren wurden zugeschlagen. Dann fingen Vanessa und Preston an, sich zu unterhalten.
Dieser Preston … Manuels Gesicht brannte vor Zorn. Vanessas Geliebter hatte ihn zweimal an der Nase herumgeführt, aber ein drittes Mal würde ihm das nicht gelingen. Jetzt wusste er, dass genau das passiert war, was er befürchtet hatte – sie hatte ihn wegen eines anderen verlassen. Sein Stolz war verletzt, aber gleichzeitig schöpfte er neue Hoffnung. Ohne Preston wäre sie nie von ihm weggegangen. Und das bedeutete, sie würde zu ihm zurückkommen, wenn er Preston erst einmal losgeworden war. Alle, die an Vanessas Flucht schuld waren oder mitgeholfen hatten, mussten dafür büßen. Juanita hatte ihre Quittung schon bekommen.
Die Erinnerung an die aufmüpfige Haushälterin machte ihn noch wütender, aber Manuel wollte jetzt einen klaren Kopf behalten und schob diese Gedanken beiseite. Es machte keinen Sinn mehr, über Juanitas Verhalten nachzudenken. Sie war tot, aber ihr Tod bereitete ihm keine Befriedigung, weil sie ihm gezeigt hatte, wie schwach er war. Sogar in seiner Gewalt hatte sie ihn noch ausgelacht, und noch jetzt kam es ihm so vor, als würde sie sich über ihn lustig machen.
Hector, der mit Manuel am Tisch saß, sah ihn an, wagte aber nicht, seinen Chef anzusprechen. Er kannte Manuel gut genug, um zu wissen, wann er besser schwieg.
“Hast du genug geweint, Mommy?”, hörte Manuel seinen Sohn fragen.
“Ja, es reicht jetzt erstmal, Liebling.”
“Kann ich dann meine Süßigkeit haben?”
“Wir sollten vielleicht besser damit warten, bis wir zum Abendessen anhalten”, sagte Preston. “Dann ist es sowieso Zeit für seine nächste Insulininjektion.”
Manuel umfasste sein Wasserglas so fest, dass Hector es ihm sicherheitshalber wegnahm. “Du zerbrichst es noch”, murmelte er. Aber Manuel war vollkommen egal, ob er etwas zerbrechen könnte. Preston redete mit Dominick, als ob es sein eigener Sohn wäre. Mit welchem Recht? Vor einer Woche noch hatten Vanessa und Dominick nur zu ihm gehört. Vor einer Woche. In einer Woche kann sich doch nicht so viel ändern.
“Ich weiß nicht, ob es richtig ist, ihn noch länger auf die Folter zu spannen”, sagte Vanessa. “Wie weit ist es denn noch bis Omaha?”
Preston antwortete, aber seine Stimme war zu leise und wurde von Dominicks Aufschrei übertönt: “Ich will aber meine Süßigkeit sofort haben! Ich will nicht mehr warten! Bitte!”
Manuel konnte kaum glauben, was er da hörte. Omaha? Sie waren in Nebraska?
“Und wie weit ist es dann noch von Omaha aus?”, hörte er Vanessa fragen. Nun wusste er, dass er sich nicht verhört hatte.
“Mommy?”
Dominicks Stimme war am besten zu verstehen, weil er sehr laut und klar sprach.
Sei still, Dominick, ich will hören, was die anderen reden.
“Noch mal ungefähr fünf Stunden.”
“Ich bin noch nie in Iowa gewesen, und du?”, fragte Vanessa.
“Nein, aber soweit ich weiß, gibt es in der Gegend um Cedar Rapids eine Menge Landwirtschaft”, sagte Preston.
Manuel atmete erleichtert aus. Jetzt hatte er sie! Und sie wussten noch nicht einmal etwas davon.
Er fragte sich, wie lange er wohl mit dem Flugzeug nach Iowa brauchte. Nachdem er auf dem Flughafen keine Spur von Vanessa gefunden hatte, wartete er in Salt Lake City auf Hector. Aber nun hatte die Warterei ein Ende.
Die Verbindung wurde schlechter. Dann hörte Manuel ein knisterndes Geräusch und vermutete, dass Vanessa ihrem Sohn jetzt seine Süßigkeit gab. Tatsächlich verstummte Dominick, also hatte Manuel wohl recht mit seiner Vermutung gehabt.
“Willst du mir nicht sagen, wer auf dich in Cedar Rapids wartet?”, fragte Vanessa.
Preston brauchte so lange für eine Antwort, dass Manuel schon fürchtete, die Verbindung sei unterbrochen. Aber dann sagte Preston: “Ich glaube nicht.”
Und nun brach die Verbindung tatsächlich ab, und Manuel fluchte laut vor sich hin. Nur zu gern hätte er die beiden weiter belauscht. Aber er hatte genug gehört. Triumphierend hob er das Glas, um mit seinem Handlanger anzustoßen. Vanessa
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