Flieh solange du kannst
waren sie noch zusammen, gehörten zueinander. Der Zuckerschock, den Max gerade erlitten hatte, war bislang sein schlimmster gewesen. Zum Glück war Preston so geistesgegenwärtig gewesen, ihm das Richtige zu verabreichen – wofür sie ihm unendlich dankte.
Max ging es wieder gut, aber dennoch war nur ein Teil ihres schrecklichen Albtraums verflogen. Manuel hielt sich immer noch in der Stadt auf und kämmte wahrscheinlich alles durch, um sie zu finden. Der Vorfall am Swimmingpool würde sich herumsprechen. Vielleicht stand die Geschichte morgen früh sogar in der Lokalzeitung. Sie konnte sich schon die Überschrift ausmalen: “Hotelgast rettet zuckerkranken Jungen vor dem Ertrinken.”
Sie strich Max beruhigend über den Rücken und erinnerte sich an die schreckliche Situation, die nach der Ankunft des Doktors entstanden war. Als Allgemeinarzt behandelte Dr. Bannister nur wenige Diabetespatienten in seiner Praxis, und ausschließlich ältere Menschen, die keine regelmäßige Insulinzufuhr brauchten. Sie musste eine geschlagene Stunde auf ihn einreden, um ihn davon zu überzeugen, dass es nicht nötig war, Max für einen Test in seine Praxis zu bringen. Emma wusste, dass es einen Test gab, der Max’ Zustand genauestens dokumentieren konnte. Aber der wäre teuer und nutzlos. Außerdem kämen die Ergebnisse erst in einigen Tagen aus dem Labor, und dann wären sie ohnehin längst abgereist. Nach dem Zuckerschock war sein Körper mithilfe eines Glases Orangensaft wieder ins Gleichgewicht gekommen. Danach hatte er auch noch ein Mittagessen zu sich genommen, das die hilfsbereite Frau von der Rezeption persönlich gebracht hatte. Nun ging es ihm schon wieder so gut, dass er noch einmal zum Swimmingpool wollte. Nicht er, sondern sie war vollkommen erledigt. Am liebsten wäre sie ins Bett gekrochen und hätte sich die Decke über den Kopf gezogen.
Max krabbelte von ihrem Schoß, und Emma nahm sich ihr Portemonnaie, um nachzuzählen, wie viel Geld sie noch besaßen. Schon jetzt hatten sie mehrere hundert Dollar ausgegeben, dabei waren sie erst drei Tage unterwegs. Wenn das so weiterging, wären sie pleite, bevor sie überhaupt in die Nähe von Iowa kamen. Aber es ließ sich nun mal nicht ändern. Und außerdem mussten sie unbedingt weiter. Nach dem Vorfall im Schwimmbad konnten sie unmöglich hierbleiben. Eigentlich hätten sie sofort verschwinden sollen, aber sie hatte insgeheim gehofft, Preston würde vielleicht doch wieder zu ihnen zurückkommen.
Warum sie so uneinsichtig war, auf das völlig Unmögliche zu hoffen, wusste sie auch nicht. Es stand doch ganz eindeutig fest, dass das nicht passieren würde. Er war fort. Für immer.
Ihr blieb als einzige Hoffnung, möglichst schnell ein billiges Auto zu finden, um die Reise fortzusetzen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Immerhin hatte sie jetzt wieder alle nötigen Medikamente für Max und auch einige Kleider. Abgesehen von Unterwäsche für sich, die hatte sie völlig vergessen. Aber ihr fehlte wirklich die Zeit, um sich über so etwas Gedanken zu machen. Sie musste vorwärts denken und alle Sorgen beiseiteschieben, sonst bekäme sie eine Depression und wäre zu gar nichts mehr in der Lage.
Also stand Emma auf und sagte laut: “Auf geht’s.”
Max schaute sie erstaunt an: “Wohin denn?”
Emma setzte sich Prestons Baseballmütze und die Sonnenbrille auf. “Irgendwie müssen wir aus dieser Stadt rauskommen.”
Preston saß in einer Nische im Restaurant des Nevada Hotels. Im Lokal herrschte nicht viel Betrieb, nur zwei Männer in Cowboykluft unterhielten sich an der gegenüberliegenden Wand unter einem Elchgeweih, und jenseits des Restaurants in der Lobby standen einige Personen vor Spielautomaten und versuchten ihr Glück. Um sie herum flammten und blitzen die bunten Lichter auf, die typisch für ein derartiges Kasino waren. Ständig klingelte oder piepte es, und ab und zu hörte man das Geräusch klimpernder Münzen, wenn ein Spieler etwas gewonnen hatte. Das gleichmäßige Stimmengewirr der Gäste und das Klappern und Scheppern des Geschirrs in der nicht weit entfernt liegenden Küche unterlegten das Konzert der Glückspielautomaten. Für die Kulisse um sich herum brachte Preston allerdings nur wenig Interesse auf. Er war noch völlig aufgewühlt von den Ereignissen im Starlight Hotel. Was dort am Swimmingpool passiert war, hatte ihn völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Er versuchte, die Erinnerung an das bleiche Gesicht des armen kleinen Max aus
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