Flieh Wenn Du Kannst
jemand einen Eimer voll Blut über Amanda ausgeschüttet hatte. »Mein Gott, nein«, stöhnte Bonnie. Lauren würde doch nicht versuchen, ihr gerade jetzt etwas anzutun, so bald nach dem Mord an Diana.
Bonnie raste die Wellesley Street hinauf zur School Street, bog links ab, jagte die lange Auffahrt zu dem Gebäude, in dem Schule und Kindergarten untergebracht waren, hinauf und hielt an. Mit einem Sprung war sie aus dem Wagen und rannte zum Spielplatz hinter der Schule.
Er war leer. Verzweifelt sah Bonnie sich um. »Wo bist du?« schrie sie. »Verdammt noch mal, Lauren, wo bist du mit meinem Kind?« Da sah sie plötzlich die kleine Barbietasche liegen, vergessen im Sand am Fuß einer Schaukel. Sie rannte hin, bückte sich, hob das leuchtend pinkfarbene Täschchen auf. Sie waren also hier gewesen. Und schon wieder weg. War es möglich, daß sie nach Hause gegangen waren?
Hals über Kopf rannte Bonnie zu ihrem Wagen zurück, streifte beinahe einen Baum, als sie rückwärts auf die Straße hinausfuhr. »Langsam«, ermahnte sie sich und nahm den Fuß vom Gaspedal, als sie scharf rechts abbog in die Winter Street. »Du bist ja gleich da.«
Bei der zweiten Straßenbiegung kam das Haus in ihr Gesichtsfeld, sie lenkte den Wagen in die Einfahrt und sprang heraus. »Amanda!« rief sie, noch ehe sie an der Haustür war. »Amanda! Lauren!« Mit fliegenden Fingern sperrte sie auf und stieß die Tür auf, rannte die Treppe hinauf.
Sie sah das Blut, sobald sie den oberen Flur erreichte. Nur ein paar rote Tropfen auf den weißen Fliesen des Badezimmerbodens, aber unverkennbar Blut. »O Gott!« Bonnie drückte sich die Hand auf den Mund, um nicht zu schreien. »Nein, bitte, nein.« So schwerfällig, als hätte sie Bleigewichte an den Füßen, ging sie zum Badezimmer.
Im selben Moment hörte sie aus Amandas Zimmer, dessen Tür geschlossen war, einen kurzen gedämpften Aufschrei. »Amanda?« rief sie und fuhr zitternd herum. Sie streckte ihre Hand nach der Tür aus und öffnete sie vorsichtig. Keuchend, voller Angst vor dem, was sie sehen würde, blieb sie stehen.
Amanda saß im Schneidersitz auf dem Boden in der Mitte des Zimmers, eine Hand auf ihrem Knie, die andere Lauren entgegengestreckt, die neben ihr saß. Sie hatte ihre große Tasche auf dem Schoß, hielt in der einen Hand Amandas Handgelenk, in der anderen eine Rasierklinge.
»Um Gottes willen!«
»Bitte, komm nicht näher«, sagte Lauren nur.
»Ich bin hingefallen, Mami«, rief Amanda und zeigte auf eine frische Schramme an ihrem Knie. »Lauren hat mich auf der Schaukel angeschubst, und dann bin ich runtergefallen und hab’ mir am Knie weh getan. Ich hab’ geweint, aber Lauren hat gesagt, ich soll nicht weinen, und hat mir das Blut abgewaschen.«
»Tut mir leid, daß es im Bad so aussieht«, sagte Lauren, als handelte es sich um das normalste Gespräch der Welt, als hielte sie nicht eine Rasierklinge an Amandas Handgelenk.
»Amanda«, begann Bonnie, unfähig, ihren Blick vom zarten Handgelenk ihrer Tochter zu wenden, »warum gehst du nicht runter und holst dir ein Glas Milch und ein paar Plätzchen...«
»Jetzt nicht, Amanda«, unterbrach Lauren mit Bestimmtheit. Amanda rührte sich nicht.
»Lauren hat gesagt, wir werden jetzt richtige Schwestern, Blutschwestern«, erklärte Amanda. »Sie hat gesagt, daß es nicht weh tut.«
Bonnie war, als gefröre die Luft um sie herum plötzlich zu Eis. Sie hatte Mühe zu atmen. »Was?«
»Und – was hat Mary erzählt?« fragte Lauren. »Ich weiß, daß du bei ihr warst. Sie hat dir erzählt, daß ich dort war, stimmt’s?« Ihre Stimme klang fern, als käme sie aus einem anderen Raum.
»Ja.« Bonnie machte einen Schritt vorwärts.
»Du kommst besser nicht näher«, sagte Lauren. »Sonst werde ich vielleicht nervös. Sonst rutscht mir vielleicht die Hand aus.«
Bonnie blieb wie angewurzelt stehen. »Tu ihr nichts«, flehte sie. »Bitte, tu ihr nichts.«
»Aber Lauren hat doch gesagt, daß es nicht weh tut, Mami. Es ist was ganz anderes, als wenn man von der Schaukel fällt.«
»Richtig, Amanda.« Lauren drückte leicht ihre Hand. »Ich würde dir niemals weh tun. Du bist doch meine kleine Schwester.«
»Bitte«, sagte Bonnie wieder. »Laß Amandas Hand los. Sprich mit mir. Wir werden bestimmt eine Lösung finden.«
»Und wenn ich gar nicht sprechen will?«
»Dann sprechen wir eben nicht«, sagte Bonnie sofort. »Wir müssen nicht sprechen.«
»Wir müssen nur warten, bis die Polizei kommt, damit du mit ihnen
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