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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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DDR -Organe waren aber sehr genau informiert, was Torn tat. Tatsächlich hat es sogar einmal einen Anschlag auf ihn und seine Familie gegeben.« Kendra lehnte sich zurück. »Wenn ich heute, so viele Jahre danach, darüber spreche, erscheint mir alles sehr unwirklich. Aber es war Realität! Kaum zu glauben!«
    »Wo finde ich Chris Torn?«
    »Wenn ich das wüsste! Vielleicht noch in Berchtesgaden?«
    »Hatten Sie nie Angst?«, fragte ich ins Blaue hinein.
    »Doch. Aber wir waren stark. Mental, meine ich. Wir haben gemacht, wovon wir überzeugt waren. Mein Mann Johannes, den ich 1976 heiratete, ahnte nicht, womit ich mir all die Jahre die Nächte um die Ohren geschlagen habe.«
    Ich hätte gerne gefragt, wo ihr Mann war, ob er noch lebte. Die Wohnung sah aus wie die einer gut betuchten Singlefrau.
    »Johannes ist momentan auf Reisen. Er hat noch eine Tochter aus erster Ehe, die gerade in Hongkong arbeitet.«
    »Wollten Sie nie zurück nach Amerika?«
    »Ich hatte mich so sehr mit Deutschland identifiziert, durch alles, was ich acht, neun Jahre lang tat. Nein, ich hätte mich dort nie mehr zurechtgefunden.«
    Kendra führte mich zur Tür.
    »Vielen Dank für das köstliche Essen«, sagte ich.
    »Wenn Sie Kontakt zu Torn aufnehmen, seien Sie vorsichtig. Er ist ein schräger Typ. Die Fluchthilfe betrieb er, um Einkommen zu erwirtschaften. Aber auch aus Sportgeist! Er erzielte viel Profit. Seinen Kreis hielt er wie einen Geheimdienst zusammen. Angeblich hat er seine Leute hart bestraft, wenn etwas nicht so klappte, wie er es wollte.«
    Als ich auf dem Weg zum Opernhaus mein Handy einschaltete, fand ich keine SMS von Nero vor, dafür hatten mindestens fünf Pressemenschen meine Mailbox vollgequatscht. Ich hätte Milena und den übereifrigen Ben Berger in der Luft zerreißen können.

29
    »Morgen«, grüßte Nero.
    Er war nicht ganz so pünktlich wie beabsichtigt, aber Markus Freiflug schien es nicht zu stören. Mit Schwung kreiselte er auf seinem Drehstuhl herum.
    »Hallo! Gerade rechtzeitig. Ich habe mich um die Argonauten-Mails gekümmert. Tappe leider immer noch im Dunkeln, was den Absender angeht.«
    Schweigend reichte er Nero einen Ausdruck.
    Nero überflog die Mail, die am Sonntagabend, am 31.8.08 um 20.44 Uhr, gesendet worden war.
    ›Keine Ehrenpension für Schergen! Wie tief will die Bundesrepublik noch sinken? Mit der Ehrenrente für die Mitglieder der letzten DDR -Regierung ist das Maß voll. Wir werden handeln. Die Argonauten um Herbert Belter.‹
    »Eine Ehrenpension?«, fragte Nero verwundert.
    »Die Sache ist vom Bundestag schon abgenickt und soll in gut zwei Wochen den Bundesrat passieren«, erklärte Freiflug. »Eine blöde Idee, wenn du mich fragst. Die Mitglieder der letzten und einzigen demokratisch gewählten Regierung der DDR sollen für die sieben Monate, die sie im Amt waren, eine Ehrenpension von fünf Prozent ihres letzten Gehaltes kriegen. Bei de Maizière, dem Regierungschef, macht das in etwa 800 Euro aus, bei seinen Ministern 650. Zusätzlich zu allen anderen Bezügen, versteht sich. Das kriegt keiner von uns, wenn es so weitergeht.«
    Nero legte den Ausdruck auf seine leere Schreibtischplatte. Seinen Ordnungssinn musste er in diesem Winzlingszimmer noch konsequenter ausleben als anderswo.
    »Opferverbände haben protestiert. Sie sind der Meinung, dass das Gesetz gegen verfassungsrechtliche Grundsätze der Gleichbehandlung verstößt. Die Opfer der SED -Diktatur gehen wie üblich leer aus. Dagegen bekäme, wenn der Bundesrat zustimmt, ein gewisser Kurt Wünsche 650 Euro monatlich auf den Gabentisch. Er war schon 1972 unter Ulbricht Justizminister«, referierte Freiflug mit einem Blick auf seine Notizzettel. »Außerdem Peter-Michael Diestel, der damalige Innenminister. In seiner Amtszeit sollen Stasiakten verschwunden sein.«
    Nero setzte sich auf seinen Stuhl und stellte die Aktenmappe vor sich ab.
    »Die ›Argonauten‹ – wissen wir etwas über die?«
    »Nein«, antwortete Freiflug. »Keine bekannte Gruppe. Auch im Netz ist nichts zu finden. Entweder nur ein loser Zusammenschluss aus jüngster Zeit oder einfach ein Etikett, das der Absender als Unterschrift benutzt. Ich tippe auf Letzteres, da er einmal von ›Argonauten Herbert Belters‹ spricht und einmal von ›Argonauten um Herbert Belter‹.«
    Nero fuhr seinen Rechner hoch.
    »Die Argonauten waren antike griechische Helden, die der Sage zufolge auf dem Schiff Argo nach Kolchis segelten, um dort das Goldene Vlies zu holen, das

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