Flitterwochen
Erfolg. Die Tür öffnet sich, und ein Mann mit einem gewaltigen Bierbauch mustert ihn misstrauisch von oben bis unten. Die beiden unterhalten sich, Jan macht große Gesten und deutet auf unser Auto. Der Mann schüttelt den Kopf, zeigt in die andere Richtung und knallt die Tür wieder zu.
»Und?«, frage ich hoffnungsvoll, als Jan zurückkommt.
»Vorletztes Haus vorm Ortsschild, da wohnt ein Schrauber. Wenn wir Glück haben, ist der sogar zu Hause. Los, komm!«
»Aber wir können Oma Strelow doch nicht einfach hier im Wagen allein lassen!«
»Ach was, wenn die schläft, dann schläft sie. Das kenn ich schon.«
»Und das ganze Geld?«
»Willst du hier etwa mit einer Plastiktüte voller Scheine durchs Dorf marschieren? Auffälliger geht’s wohl kaum. Das legen wir jetzt einfach in den Kofferraum.«
Wo er recht hat, hat er recht. Während sich Jan eine Zigarette anzündet, schließe ich den Wagen sorgfältig ab, dann laufen wir los. Das vorletzte Haus ist ein halbverfallener Hof. Überall auf dem Grundstück sind alte Autoreifen übereinandergestapelt, aus einer Scheune ist Hämmern und Bohren zu hören.
»Halloho«, ruft Jan. »Jemand zu Hause?«
Hinter einem Reifenberg schießt ein räudiger Schäferhund hervor und bellt wie verrückt. Zum Glück liegt er an der Kette, so dass er seinen Angriff einen knappen Meter vor uns unfreiwillig abbrechen muss.
»Nett hier«, murmele ich. »Freundliche Menschen, freundliche Tiere.«
Vorsichtshalber stelle ich mich hinter Jan – vielleicht kennt der Herr Dozent sich ja wenigstens mit Hunden aus. Aus der Scheune schlendert uns ein junger Kerl in einem dreckigen Blaumann entgegen. »Na, was kann ich für euch tun?«, fragt er gar nicht unnett und streichelt seiner Bestie beruhigend über den Kopf. Jan erklärt ihm umständlich, dass unser Auto liegen geblieben ist und ein Nachbar uns zu ihm geschickt hat.
»Sie müssen uns helfen«, unterbreche ich seine weitschweifige Rede. »Wir müssen heute noch nach Polen. Dringende Familienangelegenheit.«
»Na, dann wollen wir mal gucken, was wir da machen können. Ich bin übrigens Kevin«, sagt der Kfz-Mechaniker unseres Vertrauens und streckt uns seine ölverschmierte Pranke entgegen.
Als wir wieder beim Wagen ankommen, schläft Oma Strelow tatsächlich noch tief und fest. Ich werfe unauffällig einen Blick in den Kofferraum. Das Geld ist auch noch da.
»Ohauahauaha«, sagt Kevin, über den Motor gebeugt. Er ruckelt hier ein bisschen, zerrt dort ein wenig und hält plötzlich einen verrotteten Schlauch in der Hand. »Da haben wir den Übeltäter. Der Kühlerschlauch ist gerissen. Mann, Mann, Mann, dass die Kiste überhaupt noch fährt! Habt ihr den Wagen schon lange?«
»Gerade erst gekauft«, antwortet Jan nicht ohne Stolz.
»Na, da haben sie euch aber echt über den Tisch gezogen. Da ist nicht nur der Kühler kaputt, die ganze Karre sieht total schrottig aus.«
»Kannst du das reparieren?«, will ich von ihm wissen.
»Klar, reparieren kann man alles. Aber das dauert ein bisschen. Muss ja auch erst mal die Teile besorgen.«
»Wie lange?«
»Hmmm …« Kevin streicht sich nachdenklich über seinen nicht vorhandenen Bart. »Bis morgen Vormittag müsste ich das eigentlich hinkriegen.«
Morgen Vormittag? Der spinnt wohl! Da wollte ich längst auf dem Rückweg nach Lübeck sein. Ich kämpfe mit den Tränen – jetzt bloß nicht wieder heulen! Wenn wir heute nicht mehr nach Polen kommen, dann wird das hier aber langsam ein ganz knappes Höschen! Nach Polen fahren, Opa Heinzi verstreuen, nach Lübeck zurückfahren, Oma zur Polizei schleifen, mit Alex vertragen UND meine Sachen packen – wie soll ich das denn alles noch rechtzeitig schaffen? Ich bekomme Ohrenrauschen, und zwar kräftiges!
»Alles in Ordnung?« Jan und Kevin mustern mich besorgt.
»Ja«, piepse ich kläglich. »Warum?«
»Na, du zitterst ja richtig. Nicht dass du mir hier noch zusammenklappst. Ich meine, ich werde mich echt bemühen, die Karre wieder flottzukriegen, aber Wunder kann ich auch nicht vollbringen. Tut mir leid!« Kevin hebt bedauernd die Hände, und Jan zuckt wieder einmal mit den Schultern, das scheint eine polnische Sitte zu sein.
»Nützt ja nichts«, sagt er dann. »Gibt es hier irgendwo ein Hotel, in dem wir übernachten können?«
»Ein Hotel?« Kevin sieht ihn an, als hätte Jan ihn gefragt, ob das nicht das Kaff ist, in dem George Clooney wohnt. »Nee, natürlich nicht. Aber ein paar Kilometer weiter ist, äh, so eine Art,
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