Flitterwochen
Wahrscheinlich herrscht strikte Anwesenheitspflicht für jeden Kolberger, der den Nachnamen Majewski trägt. Nur Jans kleine Schwester ist offiziell entschuldigt – das Baby ist immer noch nicht wieder ganz gesund. Alles in allem scheinen aber mindestens hundert Gäste der Einladung gefolgt zu sein. Ich überlege kurz, ob ein Teil von Oma Gerdas fünftausend Euro geopfert wurde, um Statisten dafür zu bezahlen, sich auf den Bänken von Bogumiłs Kirche zu drängen – aber da Jan den meisten Gästen freundlich zunickt, während wir auf den Altar zuschreiten, scheint er sie wohl tatsächlich zu kennen.
Vorn angekommen, begrüßt uns Bogumił mit warmen Worten, dann wendet er sich an die Festgemeinde und begrüßt auch diese. Das vermute ich jedenfalls ganz stark, verstehen kann ich es ja nicht. Jan und ich nehmen auf unseren Stühlen im Altarraum Platz und lauschen dem Chor, der jetzt das erste gefühlvolle Lied schmettert. Dann ist wieder Bogumił an der Reihe. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen erzählt er nun etwas über das Wesen der Ehe, jedenfalls schaut er ernst und blickt nach jedem Satz zu uns herüber. Wahrscheinlich fragt er sich, ob wir in Deutschland auch tatsächlich geheiratet haben und er uns jetzt zu Recht seinen Segen gibt. Oder ob er für diese Aktion demnächst richtig Ärger mit seinem Bischof bekommt. Schließlich darf er uns ohne die staatlichen Papiere eigentlich gar nicht trauen, das hat mir Karolina erklärt, nachdem Bogumił mit sorgenvoller Miene beim Brautunterricht auf uns eingeredet hatte. Nachdem Jan ihm aber noch einmal die Geschichte mit dem Nazi-General, unserer heimlichen Hochzeit und vor allem unserer überstürzten Flucht aufgetischt hat, bei der wir alle Papiere zu Hause lassen mussten, konnte er uns schon aus reiner Christenpflicht nicht hängenlassen. So gesehen ist diese Mär, obwohl völlig schwachsinnig, doch gar nicht so schlecht.
Bogumiłs Predigt dauert eine gefühlte Ewigkeit, langsam wird mir kalt. Mein Kleid ist eben eine Kreation für Mahé, Seychellen, und nicht für Kolberg, Polen. Die kleinen Härchen auf meinen Unterarmen stellen sich auf, ich bekomme eine Gänsehaut. Anscheinend zittere ich auch ein wenig, denn jetzt dreht sich Jan zu mir und flüstert mir ins Ohr: »Alles in Ordnung? Soll ich übersetzen?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein, brauchst du nicht. Alles gut. Mir ist nur kalt. Hoffentlich dauert es nicht mehr so lang.«
»Keine Sorge. Ich schätze mal, ein Lied, dann kommt er zur eigentlichen Zeremonie.«
Jan liegt mit seiner Einschätzung ganz richtig. Nach dem nächsten Lied bedeutet uns Bogumił mit einer Handbewegung, aufzustehen, was wir tun, und auch Karolina und Wojtek stehen auf und kommen zu uns. Bogumił wiederholt jetzt ganz langsam die Trauformel, die er mir schon im Unterricht erklärt hat. Er fragt uns erst einzeln, ob wir einander zu Mann und Frau nehmen wollen, was wir brav bejahen – ich hoffe nur, dass ich für diese Lüge nicht pronto im Fegefeuer lande –, und dann kommt der schwierige Teil: Das Ehegelöbnis zum Nachsprechen. Bogumił beginnt mit Jan.
»Ja Jan Krzysztof biorę Ciebie Krystyno Mario za żonę i ślubuję Ci miłość, wierność i uczciwość małżeńską oraz, że Cię nie opuszczę aż do śmierci. Tak mi dopomóż Panie Boże Wszechmogący w Trójcy Jedyny i Wszyscy Święci.«
Jan spricht Bogumił auf Polnisch nach. Dann blickt er mich fest an und gibt sein Versprechen noch einmal auf Deutsch:
»Ich, Jan Krystof, nehme dich, Christine Maria, zu meiner Frau, ich will dich lieben, achten, ehren und dir die Treue halten, in Gesundheit und Krankheit, in guten und schlechten Tagen, bis dass der Tod uns scheidet, das schwöre ich dir.«
Woran auch immer es liegt – das ist zu viel für meine Nerven. Zuerst fangen meine Hände an zu zittern, dann mein ganzer Körper. Karolina streicht mir über den Oberarm und murmelt
ksch, ksch,
aber das beruhigt mich nicht. Ich weiß nicht, warum mir das nicht schon vorher aufgefallen ist, aber: HALLO ?!? ICH STEHE MIT EINEM FREMDEN MANN IN EINER FREMDEN KIRCHE UND BIN KURZ DAVOR , IHM DAS JA - WORT ZU GEBEN !!! Da wird man ja selbst als Atheistin mal die Nerven verlieren dürfen, oder? Außerdem muss ich ausgerechnet jetzt an die Wahrsagerin auf meiner Abi-Feier denken. Was, wenn sie recht hatte? Was bedeutet das dann für mich? Zählt diese Heirat schon mit? Oder habe ich noch einen Versuch auf den Seychellen? Will ich das überhaupt
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