Flitterwochen
steht auf, geht erst zu seiner Mutter und küsst sie, dann ist Gerda dran. Die ist sichtlich gerührt, und ich hoffe nur, dass sie nicht zu einer weitschweifigen Gegenrede ansetzt, in der sie wieder Jan mit Fritz verwechselt oder irgendetwas anderes erzählt, was die hier gerade in voller Blüte stehende deutsch-polnische Freundschaft empfindlich stören könnte.
Aber diese Sorge ist völlig unnötig, denn bevor Gerda irgendetwas sagen kann, steht schon Wojtek mit der Flasche Wodka neben ihr und schenkt ihr Glas randvoll, auf dass sie mit ihrem neu erworbenen Schwiegerenkel mal richtig anstoßen kann. Und natürlich werden jetzt auch alle anderen von Wojtek versorgt, inklusive der Braut. Der Getränkenachschub scheint die vornehmste Pflicht des polnischen Trauzeugen zu sein. Na, dann prost!
Nach diesem Glas habe ich mir genug Mut angetrunken, um auch ein paar Worte an die Festgemeinde zu richten. Ich klopfe an mein Glas und stehe auf.
»Liebe Mutter«, spreche ich Magda an, »liebe Oma«, das geht Richtung Gerda, »liebe Familie und Freunde! Ich danke euch, dass ihr mich so herzlich aufgenommen habt.« Ich mache eine kurze Pause, damit Karolina übersetzen kann. »Letzte Woche noch kannte ich die meisten von euch nicht – und heute gehöre ich zu euch. Das ist wunderschön! Und wunderschön ist auch das Geschenk, das ihr Jan und mir zur Hochzeit gemacht habt: Über die drei Tage Flitterwochen in Misdroy haben wir uns sehr gefreut, danke!«
Die Gäste applaudieren, Gorzko-Rufe werden laut, und schon steht Jan neben mir und küsst mich – oder besser: haucht mir einen Kuss auf die Lippen. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich drei Tage Misdroy allein mit Jan tatsächlich gar nicht schlecht finde. Bevor ich noch tiefsinnig werden und überlegen kann, was Alexander dazu wohl sagen würde, steht schon das nächste Wodka-Glas vor mir. Na zdrowie.
Als endlich etwas Essbares auf den Tisch kommt, ist mir von einem Glas Sekt und zwei Gläsern Wodka schon sehr schummerig. Bevor ich mit Jan ins Tanzgeschehen einsteigen kann, muss ich ganz dringend mal eine solide Grundlage schaffen, sonst kann ich für nichts garantieren. Ich bin auch gerade sehr froh, dass ich kein Polnisch spreche und insofern niemand von mir geistreiche Konversation bei Tisch erwarten kann. Schnell löffele ich die verführerisch duftende und hervorragend schmeckende Mehlsuppe in mich hinein – hm, lecker! Also, kochen können die hier wirklich. Ob ich noch eine zweite Portion bekommen kann?
Mateusz scheint Gedanken lesen zu können – oder aber er hat Angst, dass die Party zu schnell zu Ende ist, wenn die Gäste weiterhin so viel Wodka auf ihre halbleeren Mägen kippen. Jedenfalls stellt er jetzt eine Platte mit etwas Fingerfoodartigem direkt vor meine Nase.
»Das sind kalte Piroggen«, erklärt mir Karolina, »ein kleiner Snack, um die Zeit bis zum nächsten Gang zu vertreiben.« Ein Snack zwischen zwei Gängen – es grenzt an ein Wunder, dass die meisten Polen schlank sind!
Während der nächsten sechs Gänge und Zwischengänge muss ich leider feststellen, dass meine Korsage faktisch wie eine Magenverkleinerung wirkt. Obwohl alles, was vor mir auf dem Teller landet, ausgezeichnet schmeckt – seien es Kohlwickel, Hackfleischbällchen oder als fulminanter Höhepunkt ein Wildschweinbraten mit Moosbeerensauce –, kann ich kaum etwas essen. Ich fühle mich zu eingequetscht. Mittlerweile fällt mir selbst das Atmen schwer. Je länger ich allerdings im Essen herumstochere, desto deutlicher spüre ich die Wirkung des Wodkas: Als wir schließlich aufstehen, um die Tanzfläche zu eröffnen, schwanke ich, glaube ich, schon ganz schön. Praktischerweise haben aber auch alle anderen schon den ein oder anderen kleinen Drink genommen, so dass ich hoffentlich nicht weiter auffalle.
»Alles in Ordnung?«, erkundigt sich Jan.
»Klar, warum?«
»Na, du schwankst ein bisschen.«
Okay. Es fällt doch auf.
»Vielleicht bräuchte ich mal etwas Wasser.«
»Willst du dich frisch machen? Das brauchst du aber nicht, du siehst immer noch toll aus.«
»Zum Trinken, Jan. Ich will Wasser trinken, nicht mich damit waschen!«
Klar, auf so einen exotischen Gedanken kommt hier natürlich keiner. Wasser
trinken
– verrückte Idee!
»Ach so, verstehe. Moment, ich besorge dir etwas. Aber danach wird getanzt, keine Widerrede!«
Und wie getanzt wird! Während auf den deutschen Hochzeiten, die ich bisher besucht habe, eindeutig die Tanzmuffel in der
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