Flossen weg
Spektrogramme der Aufnahmen von Walgesängen zu analysieren, Verhaltensmuster abzugleichen und dann die entsprechenden Interaktionsmuster auszuwerten. Das Problem bestand darin, herauszufinden, was eigentlich bei einem vierzig Tonnen schweren Tier als Interaktion gelten konnte. Interagierten die Tiere, wenn sie fünfhundert Meter voneinander entfernt waren? Einen Kilometer? Zehn Kilometer? Ihr Gesang war weit zu hören. Die Infraschall-Frequenzen konnten sich im Tiefseebecken buchstäblich Tausende von Kilometern weit ausbreiten.
Nate versuchte, sich in ihre Welt hineinzuversetzen – eine Welt ohne Grenzen, ohne Hindernisse, eine Welt der Geräusche, und doch konnten sie gut sehen, sowohl im Wasser als auch außerhalb. Sie besaßen spezielle Augenmuskeln, die es ihnen ermöglichten, sich auf die unterschiedlichen Erfordernisse einzustellen. Sie pflegten sowohl Kontakt zu Tieren, die sie sehen konnten, als auch zu solchen, die sie nicht sehen konnten. Wenn sich Nate und Clay teure Sender leisteten oder einen Hubschrauber mieteten, mit dem sie die Tiere aus größerem Abstand beobachten konnten, schien es, als reagierten die Wale kilometerweit aufeinander. Wie erforscht man ein Tier, das den Kontakt zu seinen weit entfernten Artgenossen aufrechterhält? Die Antwort musste im Gesang zu finden sein, irgendwo im akustischen Signal. Nur so konnte man sich dem Problem nähern.
Um Mitternacht saß er noch immer allein in seinem Büro, das nur vom leuchtenden Bildschirm erhellt war, hatte vergessen zu essen, zu trinken und pinkeln zu gehen, seit vier Stunden schon, als Kona hereinkam.
»Was ist das?«, fragte der Surfer und deutete auf den Monitor.
Nate fiel vor Schreck fast vom Stuhl, dann fing er sich wieder und nahm die Kopfhörer ab. »Was da läuft, ist das Spektrogramm vom Gesang eines Buckelwals. Die verschiedenen Farben sind Frequenzen oder Tonhöhen. Die krakelige Linie in dem Kasten da ist ein Oszilloskop. Es zeigt die gleiche Frequenz an, aber damit kann ich jeden Ton isolieren, indem ich ihn einfach anklicke.«
Kona aß eine Banane. Er gab Nate auch eine, ohne sich vom Bildschirm abzuwenden. »So sieht es aus? Das Lied?« Kona hatte ganz vergessen, mit Akzent zu sprechen, sodass Nate vergaß, etwas Sarkastisches zu entgegnen.
»So kann man es sehen. Menschen sind visuell ausgerichtete Tiere. Unsere Gehirne können visuelle Informationen besser verarbeiten als akustische, und deshalb ist es für uns einfacher, über Geräusche nachzudenken, indem wir sie betrachten. Das Gehirn von einem Wal oder Delfin ist so strukturiert, dass es eher akustische Reize verarbeitet, nicht so sehr visuelle.«
»Wonach suchst du?«
»Ich weiß nicht genau. Ich suche nach einem Signal. Nach einem Informationsmuster in der Struktur des Liedes.«
»Wie eine Botschaft?«
»Vielleicht eine Botschaft.«
»Und sie ist nicht in der Musik?«, fragte Kona. »In den verschiedenen Tönen? Wie in einem Song? Du weißt, dass der Prophet Bob Marley SEINE Weisheit in Form von Songs übermittelt hat.«
Quinn fuhr auf seinem Stuhl herum und stutzte, hatte den Mund voll Banane. » Seine? Wen meinst du?«
»Seine Kaiserliche Majestät Haile Selassie, Kaiser von Äthiopien, Löwe von Zion, Jesus Christus auf Erden, Gottes Sohn. Sein Segen sei mit uns. Jah, Mann.«
»Du meinst Haile Selassie, den äthiopischen König, der in den 70ern gestorben ist? Den Haile Selassie?«
»Ja, Mann. Den direkten Nachkommen Davids, wie bei Jesaja prophezeit, durch das göttliche Paar Salomon und Makeda, die Königin von Saba. Von deren Söhnen stammen alle Kaiser Äthiopiens ab. Deshalb glauben wir Rastas, dass Jesus Christus in Haile Selassie auf Erden lebt.«
»Aber er ist tot. Wie soll das gehen?«
»Es hilft, wenn man stoned ist.«
»Verstehe«, sagte Nate. Nun, das erklärte so einiges. »Jedenfalls, um deine Frage zu beantworten: Ja, wir haben uns die musikalische Übertragung angesehen, aber trotz Bob Marley glaube ich, dass die Antwort hier im unteren Register zu finden ist, aber nur, weil es sich am schnellsten ausbreitet.«
»Kannst du das anhalten?«, sagte Kona und deutete auf das Oszilloskop, einen grünen Strich, der auf schwarzem Hintergrund tanzte.
Nate klickte darauf und fror die gezackte Linie auf dem Bildschirm ein. »Wieso?«
»Diese Zähne da? Guck mal, da sind lange Zacken und nicht so lange.«
»Man spricht von Mikro-Oszillationen. Sie sind nur zu sehen, wenn man sie angehalten hat.«
»Was wäre, wenn der lange Zacken eine
Weitere Kostenlose Bücher