Fluch der 100 Pforten
konnten.
Radulf klopfte erneut mit seinem Hammer auf den Tisch, bis die Menge sich beruhigt hatte. »William Tate, vom Komitee bestimmter Verteidiger.«
Tate winkte ins Publikum und zog ein Stück Brot und ein Stück Käse hervor. Henry hatte kein allzu großes Vertrauen in seinen Verteidiger. Während er ihn ansah, kramte Tate ein kleines Messer aus seiner Jacke und schnitt den Käse in Scheiben. Dann riss er das Brot auseinander und machte sich, noch immer in die Menge grinsend, ein Sandwich.
Radulf hämmerte erneut auf den Tisch. »Der Vorsitzende wendete sich an William Tate.«
Tate sah kauend auf. »Ja, Eure Majestät?«
Die Menge kicherte.
»Würden Sie uns bitte schön erklären, was Sie da gerade tun?«, fragte Radulf.
»Ich esse«, antwortete Tate. Er hob sein Sandwich in die Höhe. »Man nennt es einen Zocker. Nach einem Mann, der es beim Zocken erfunden hat.«
Radulf seufzte. Er nahm seine Brille ab und putzte sie. »Man verlese die Anklage.«
Rip stand auf. Er hielt ein Stück Papier ein wenig von sich weg. »Der Bezirk R. R. K., handelnd im Namen der Region Zett, erklärt, beanstandet und zeigt an, dass FK entgegen aller Bescheide, Ermahnungen und Warnungen wissentlich und
absichtlich wiederholt Taten begangen hat, die ein in Gefangenschaft gesetztes Übel erweckt, entfesselt und/oder zu dessen Erwachen beigetragen haben. Dass in der Folge besagter Taten der Dämon, auch Nimiane genannt, einstmalige Hexen-königin von Endor, erwacht ist, Kraft gesammelt hat und gerade im Begriff ist, die menschliche Schwester des Bezirks im Süden, die Stadt Hylfing, anzugreifen.«
Henry spürte, wie alle den Atem anhielten. Tate legte sein Sandwich ab und sah ihn an.
»Welche Strafe empfiehlt das Komitee?«, fragte Radulf.
Rip räusperte sich. »Das Komitee fordert in aller Bescheidenheit die Todesstrafe, die Vernichtung und die vollständige und dauerhafte Trennung von Körper und Geist anhand traditioneller Maßnahmen.«
Im Raum herrschte Schweigen.
Die Frau tippte.
Und Henry kippte rücklings von seinem Schemel.
ZWANZIGSTES KAPITEL
I rgendwo hinter den Wolken stand die Sonne und brannte hernieder. Caleb hatte sein Pferd unablässig angetrieben und es nur hier und da, wo der Boden es erforderte, im Schritt gehen lassen. Henriettas Knochen klapperten mit den Pfeilen in Calebs Köcher um die Wette. Ihr Rücken schmerzte, ihre Beine ebenfalls und zu allem Überfluss hatte sie die ganze Zeit den Pferdeschweiß in der Nase.
Trotz des bewölkten Himmels war der am Morgen nur warme Tag heiß und drückend geworden. Die noch kühle morgendliche Brise hatte sich in einen schwülen Wind verwandelt, der ein fettiges Gefühl auf Henriettas Haut hinterließ.
Überall um sie herum war das Gras braun und an einigen Stellen verschrumpelt. Von den kleineren Bäumen hatten viele ihre Blätter abgeworfen, andere wirkten fleckig und grau. Nur die größeren Bäume waren noch grün.
Hier und da hatte Henrietta tote Vögel und Nagetiere gesehen, einmal auch ein junges Reh. Jetzt aber stieß man auf diese Tierchen ebenso häufig wie auf die dunklen Steine, die überall an den Berghängen lagen. Und jedes Mal, wenn sie
einen Fluss durchquerten, stießen sie auf tote Fische. Ganze Schwärme ballten sich in den kleinen Strudeln hinter Felsblöcken oder Ästen zusammen, wo die Strömung sie nicht mitreißen konnte.
Henrietta dachte an Kansas und an ihre Familie. Bei allem Schmerz und aller Anstrengung, trotz der Hitze und der Müdigkeit und der Fremdartigkeit der Welt, die sie umgab, bei aller Angst überwog in ihr vor allem das Gefühl, total versagt zu haben. Warum lernte sie eigentlich nie dazu? Warum dachte sie nie richtig nach, bevor sie etwas tat? Reue, das war es, wovon ihre Knochen schmerzten. Und die blanke Wut auf Eli. Natürlich war sie dumm gewesen, aber er hatte sie auch hereingelegt. Vielleicht hätte sie ja zurückkehren können – aber genau würde sie das nun nie mehr in Erfahrung bringen. Selbst wenn die Kompass-Schlösser immer noch auf FitzFaeren gestellt waren – niemand würde ihr mehr folgen können. Das Stechen des Schlüssels, der sich unablässig in ihren Schenkel bohrte, erinnerte sie daran.
»Was hat Eli angestellt?«, fragte sie.
Caleb antwortete nicht. Das Pferd trabte einen Hang hinauf und schlängelte sich zwischen Felsbrocken hindurch.
»Magdalene hat gesagt, er hätte meinem Großvater etwas gegeben, was er ihm nicht geben durfte«, fügte sie hinzu.
»Ich kenne nicht die ganze
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