Fluch der 100 Pforten
her durch den Wald. Ihm folgte ein Knurren und das Bellen eines Hundes.
»Halt dich gut fest«, flüsterte Caleb. »Drück die Schenkel zusammen. Fass in die Mähne, wenn nötig.« In mörderischem Tempo begann das Pferd zwischen den Bäumen und den Felsen
hindurchzugaloppieren. Henrietta fragte sich, ob Caleb es überhaupt noch antreiben musste.
Dann schlangen sich erneut Calebs Arme um sie. In der linken Hand hielt er seinen schweren schwarzen Bogen mit dem messerspitzen Pfeil an der Sehne. Die Finger seiner Rechten hatte die Kerbe des Pfeils gefasst. Henrietta duckte sich über den Hals des Pferdes und nahm nichts weiter wahr als den donnernden Hufschlag des Fuchses. Über die Anhöhe kam ihnen etwas entgegen. Ein Pferd ohne Reiter. Auf seinem Rücken stand ein großer grauer Wolf. Zwei weitere Wölfe liefen nebenher. Sie sprangen das Pferd an Beinen und Schultern an und versuchten, es in den Hals zu beißen. Dann wurde eine weitere Silhouette auf der Anhöhe sichtbar. Es war Calebs schwarzer Hund. Das Pferd bäumte sich auf und schlug aus, aber die Wölfe hatten sich in seinen Sattel verbissen und die Tritte gingen ins Leere. Erneut wieherte das Pferd verzweifelt.
Im gestreckten Galopp raste Calebs Fuchs zwischen den Bäumen hindurch auf die Szene zu. Sie kamen rasch näher. Hinter Henrietta drehte Caleb seinen Oberkörper zur Seite. Er spannte den Bogen und sie drückte sich an seine Brust und zog den Kopf ein. Dann sah sie, wie der Pfeil abgeschossen wurde und seine Flugbahn aufnahm. Er schoss über den leeren Sattel hinweg und durch den Körper des Wolfs hindurch, wobei er seine Federn verlor. Der Wolf brach zusammen, stürzte zwischen die Hufe des um sich tretenden Pferdes und kugelte über den Erdboden. Die beiden anderen Wölfe aber ließen sich nicht beirren, obwohl Caleb sie von der einen Seite angriff und sein Hund von der anderen. Erneut spannte Caleb
den Bogen − der zweite Wolf brach zusammen und wirbelte die Erde auf. Dann waren sie an der Stelle vorüber. Ein wildes Knurren wurde hinter ihnen laut, während sie zwischen den Bäumen die Anhöhe hinaufgaloppierten.
»Und was ist mit dem dritten Wolf?«, schrie Henrietta.
»Mit einem einzigen kann der Hund es aufnehmen. Halt lieber nach Eli Ausschau.«
»Nach Eli?«
»Das war das Pferd, das er gestohlen hatte.«
Auf der Kuppe der Anhöhe blickte Henrietta sich angestrengt um. Aber es war nichts zu sehen. Caleb ließ das Pferd im Schritt gehen und spähte zwischen den Bäumen nach links und rechts. Vor ihnen tauchten die Pferde der anderen nun wieder auf. Caleb schien etwas bemerkt zu haben, das Henrietta nicht aufgefallen war. Er änderte ihren Kurs und lenkte das Pferd ins flache Unterholz. Ein wenig abseits, unter einem Baum, lag Eli. Er hatte ein wenig Blut in den Handflächen. Caleb glitt von seinem Pferd und legte seine Hand auf Elis Brust. Eli schlug die Augen auf.
»Oh«, sagte er. »Ich bin vom Baum gefallen. Ich war hochgesprungen und hatte mich an einem Ast festgehalten, als die Wölfe meinem Pferd nachgejagt sind. Und dann bin ich heruntergefallen.«
»Bist du verletzt?«, fragte Caleb.
»Ich glaube nicht.« Eli blinzelte. »Ich bin noch nie in meinem Leben von Wölfen angegriffen worden. Es war ganz anders, als ich erwartet hatte.«
»Was hattest du denn erwartet?«, fragte Henrietta.
»Ich hatte erwartet zu sterben. Ist das Pferd tot?«
»Aller Wahrscheinlichkeit nach nicht.«
»Und die Wölfe?«
»Drei müssten tot sein, wenn ich meinen Hund richtig einschätze.«
»Und die Wölfin?«
»Ich habe keine gesehen.«
»Nur ein kleines Stück von hier entfernt. Sie hatten sie umzingelt und stoben auseinander, als ich geradewegs zwischen sie geritten bin. Ich verstehe gar nicht, dass sie mein Kommen nicht gewittert haben.« Eli betrachtete seine Hand. »Und auch, dass ich sie nicht erspürt habe.«
»Es ist schwierig geworden, etwas zu erspüren. Um uns herrscht der Aufruhr des Todes.« Caleb legte einen weiteren Pfeil an seinen Bogen und erhob sich. »In welcher Richtung?«, fragte er und pfiff durch die Zähne.
Henrietta hörte ein Pferd näher kommen, und kurz darauf sah sie es auch. Es sprang noch immer nervös herum und schlug aus. Seine Flanken waren blutig, und es hatte Kratzspuren am Hals und an den Schultern. Eli versuchte gleichzeitig aufzustehen und Caleb die Richtung zu weisen. Caleb folgte seinem Finger und begann sich sorgfältig einen Weg durch das Unterholz zu bahnen. Knapp 30 Meter entfernt blieb er
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