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Fluch der 100 Pforten

Fluch der 100 Pforten

Titel: Fluch der 100 Pforten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Wilson
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Holz unter Henrietta knarrte noch immer vor Spannung. Mit fünf Reihen von Rudern pflügte sich die riesige Galeere durch das Wasser und überließ das kleinere Schiff dem Untergang.
    Henrietta blickte das abschüssige Schiffsdeck hinauf. Sie entdeckte, woher sie gekommen war. Jenseits des abgeknickten Mastes stand in der Verschalung eines zweiten Katapults eine kleine Tür offen. Zu ihr musste sie zurück, bevor sie erschossen oder abgestochen wurde oder das ganze Schiff mit ihr unterging.
    Das Deck war so gut wie leer. Alle, die nicht verwundet waren, waren ins Wasser gesprungen und Henrietta konnte die Männer hinter sich in den Wellen beten und fluchen hören. Sie vermied es, ins Wasser ringsum zu sehen oder darüber nachzudenken, was ihr gerade in den Rücken stieß.

    Die riesige Galeere riss ihren Rammsporn aus dem Schiffsrumpf und Henrietta spürte, wie sie, wie das ganze Schiff tiefer ins Wasser sank. Von Sekunde zu Sekunde stellte sich das Heck steiler in die Höhe.
    Auf dem Deck gab es nichts, woran sie sich mit den Händen hätte klammern können, und auch ihre Füße fanden auf den glatten Planken keinen Halt. Wohl oder übel drehte Henrietta sich um und sah die vielen Leichen, die im Wasser um sie herum trieben. Die meisten waren nur spärlich bekleidet. Bei einem Mann aber, der mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb, ragte der Griff eines Messers aus seinem Gürtel.
    Henrietta zog den Leichnam mit dem Zeh zu sich heran. Sie riss das kleine bronzefarbene Messer aus seiner Halterung und umklammerte es.
    Das Wasser reichte ihr bis an die Rippen.
    Sie bohrte das Messer zwischen zwei Planken, so hoch über ihrem Kopf, wie sie nur konnte. Dann schob sie sich durch Strampelbewegungen mit ihren nassen Schuhen am Deck hoch, fast ganz aus dem Wasser heraus. Mit ihrem linken Fuß ertastete sie einen vorstehenden Holzspan und sie schob sich noch ein Stück höher, ohne sich darum zu kümmern, dass sich der Spreißel durch ihre Schuhsohle in ihren Fuß bohrte. Sie zog das Messer heraus, stieß es erneut über sich ins Holz und stemmte sich mit den Knien noch ein Stück weiter hinauf, bis sie die nächste schmerzhafte Fußstütze fand. Aber sie bewegte sich aufwärts! Sie würde es schaffen! Ihre Hände zitterten und jeden Augenblick mochte sie sich den Fuß wohl gänzlich durchstechen. Aber sie würde es schaffen! Sie war ihrem Zuhause schon ein ganzes Stück näher gekommen.

    Die offene Tür, aus der sie gefallen war, sah überraschend klein aus. Zu klein. Aber Henrietta gestattete sich nicht, darüber nachzudenken. Sie war durch diese Tür hierher gelangt – also musste sie durch sie auch wieder zurückkommen.
    Als sie die Tür schon fast erreicht und nur noch gut drei Meter zu klettern hatte, machte sie eine Pause. Sie lehnte ihren Körper an das weiterhin ächzende Deck, schlang ihre Arme um den Fuß des Mastes und atmete durch. Sie konnte nun über das hinter ihr liegende Meer sehen, und sie stellte fest, dass sich das Schiff gar nicht auf dem offenen Meer befand. Inseln waren an den Horizont getupft und Hunderte Schiffe schwammen um sie herum und krabbelten auf ihren Rudern wie Tausendfüßler.
    Mit Henrietta war auch das Wasser unterhalb ihrer Füße stetig schwappend höher gestiegen. Und im Gegensatz zu ihr hatte es keine Pause eingelegt. Jetzt leckte es schon wieder an ihren Schuhen. Henrietta sammelte Kraft für einen neuen Anlauf. In diesem Moment seufzte das Schiff unter ihr. Eine Veränderung war eingetreten. Das Schiff gab auf. Es begann nun schneller zu sinken und in den Wellen unterzugehen.
    Henrietta warf das Messer von sich. Als das Wasser bis über ihre Schienbeine reichte, reckte sie sich und suchte neuen Halt. Sie fand ihn, stützte ihre Beine ab und fasste erneut nach oben. So oft das Schiff ein Stück tiefer sank, holte sie das Wasser ein, und jedes Mal krallte sie sich wieder irgendwo fest und zog sich weiter das Deck hinauf, bis sie schließlich, mit zusammengebissenen Zähnen und bis zu den Schenkeln im Wasser, die Finger durch die kleine Tür strecken konnte.
    Der Durchgang war viel zu klein für sie.

    Henrietta schloss die Augen. Sie zwang ihre kraftlosen Arme, noch einmal zu ziehen und befahl ihren Beinen, sie hochzuschieben, während ihre Füße an den nassen Planken abrutschten. Das Zimmer ihres Großvaters befand sich unmittelbar über ihr. Sie musste es einfach schaffen! Sie stemmte sich hoch – und konnte den Kopf durch die Tür schieben! Das Wasser umspülte ihre Hüften.

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