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Fluch der 100 Pforten

Fluch der 100 Pforten

Titel: Fluch der 100 Pforten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Wilson
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Bildern, die sie nicht finden konnten. Henrietta schluckte und überlegte, was sie sagen sollte.
    Henry tastete sich zum Fußende seines Betts und dann zur Fächerwand. Er fuhr mit den Händen darüber, ging in die Hocke und suchte langsam weiter, bis er die Tür nach Endor gefunden hatte. Seine Fingerspitzen befühlten jede Schraube und strichen über die Ränder der Tür. Er schien zufrieden zu sein. Dann richtete er sich schwer atmend auf und suchte die Tür nach Badon Hill. Er öffnete sie und fasste hinein. Plötzlich, mit zusammengebissenen Zähnen, schlug er aus Leibeskräften zu und Henrietta hörte etwas zersplittern.
    Henry zog seine Hand aus dem Fach und lutschte an seinen Fingerknöcheln.

    »Hallo, Henry«, sagte Henrietta.
    Henry fuhr herum und wäre beinahe hingefallen.
    »Was machst du hier?«, fragte er leise.
    »Ich habe … ich habe in Großvaters Notizbuch gelesen. Ich bin heute durch ein Fach geschlüpft. Als du nicht da warst. Weißt du, das war wirklich blöd von mir. Fast wäre ich darin umgekommen. Ich habe mir gedacht, bevor wir sonst etwas unternehmen, ist es besser, wenn wir erst einmal das Notizbuch durchlesen.«
    Sie erwartete, dass er sich alles erzählen ließ oder dass er ihrer Selbstanklage zustimmte. Oder dass er zumindest wütend wurde, weil sie in seinen Schubladen herumgewühlt hatte. Wurde er aber nicht.
    »Aus dem Fach Nummer 18 stammst du jedenfalls nicht«, sagte sie und versuchte zu lachen. »Dort findet nämlich eine Seeschlacht statt. Und weißt du was«, fuhr sie fort, »was deine komische Blindheit betrifft …«
    »Ich will nicht darüber reden.«
    »Ja, aber wir müssen uns etwas ausdenken.«
    »Willst du mir einen Blindenhund kaufen? Ich hab schon Richard. Bitte geh jetzt. Ich möchte mich hinlegen.«
    Henrietta stand schnell auf und wich ihm aus. »Natürlich«, sagte sie. Sie schob das Notizbuch unter sein Kissen und dann steckte sie die Hand in ihre Tasche.
    Henry kroch auf sein Bett und streckte sich mit dem Gesicht nach unten aus.
    »Es tut mir wirklich leid«, sagte Henrietta.
    Henry schnaubte. »Es ist ja nicht deine Schuld.«
    »Nein«, entgegnete Henrietta. »Es tut mir nicht leid, dass
du blind bist. Das heißt, doch, schon … Aber ich meinte, es tut mir leid, dass ich gelogen habe. Wegen des Schlüssels.«
    Henry antwortete nicht. Henrietta wartete einen Augenblick, hatte aber das Gefühl, dass er nichts weiter hören wollte. Sie würde später noch mal mit ihm reden. Heute Abend vielleicht. Eher aber morgen. Sie verließ sein Zimmer.
    »Dein Zeug ist unter deinem Kopfkissen«, sagte sie und schloss die Tür.
     
    Henry war zufrieden mit sich. Mochte sie doch denken, er sei ein Waschlappen. Jedenfalls hatte er nicht wie ein Waschlappen gehandelt. Er hatte müde gehandelt. Oder vielmehr hatte er überhaupt nicht gehandelt. Er war einfach nur müde. Und er hatte keine Ahnung, wie viel Uhr es war. Er hoffte, dass es schon nach dem Abendessen war, sodass er es nicht ablehnen musste, zu Tisch zu kommen.
    Dann schob er seine Hand unter das Kopfkissen. Er fühlte Großvaters mit Gummi zusammengeschnürte Notizbücher. Aber darauf lag noch etwas. Etwas Kaltes.
    Seine Finger schlossen sich um den Schlüssel.

FÜNFTES KAPITEL
    H enry rollte sich auf den Rücken. Seine Hand ballte er zur Faust. Er konnte noch gar nicht fassen, dass Henrietta ihm den Schlüssel tatsächlich gegeben hatte. Allerdings brauchte sie ja auch keine allzu große Angst zu haben, dass er ihn zum Einsatz bringen könnte. Er war blind. Jetzt hatte sie es sich leisten können, ihm den Schlüssel zu überlassen.
    Gedankenverloren hob er die Hand, um sich den Schlüssel anzusehen. Frustriert und noch trauriger über seine Blindheit, weil er sie für einen Moment vergessen hatte, ließ er den Arm wieder auf das Bett sinken. Dabei aber nahm er eine Bewegung wahr. Seine Augen hatten erfasst, dass sich etwas bewegte! Er schwenkte den Arm und sah einen hauchzarten Schimmer dort, wo seine Hand sein musste. Er ließ den Schlüssel fallen und hielt sich die Hand vor das Gesicht. Die verbrannte Hand. Seinen Arm konnte er nicht sehen. Auch nicht das Handgelenk oder die gesamte Hand oder das Zimmer. Es war die Brandwunde, die im Nichts vor ihm schimmerte. Und nicht nur das. Die Verbrennung sah aus wie ein Zeichen. Und das Zeichen bewegte sich.
    Selbst wenn Henry gewollt hätte – er konnte seinen Blick
nicht davon abwenden. Es gab ja nichts anderes, was er sehen konnte, nichts, worauf er seine Augen hätte

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