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Fluch der 100 Pforten

Fluch der 100 Pforten

Titel: Fluch der 100 Pforten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Wilson
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Rankpflanzen überwucherte alte eingestürzte Tempelmauer. Die bröckelige Mauerlücke, durch die er gekommen war, war restlos von Blattwerk bedeckt. Aber er brauchte sie auch nicht zu sehen, um zu wissen, dass sie da war. Hier, von seinem Platz aus, konnte er das flache Grasland, das Salzwasser und die Aromen aus den einzelnen Fächern riechen. Und er wusste, in welchem Fach sich Henry befand. Es war zu klein für den Ragganten gewesen, um hindurchzupassen – in eine Welt voller Rauch und voller Menschen, deren Stimmen wie Pfauenschreie klangen. Er musste einen anderen Weg finden. Es würde schon einen geben. Es gab immer einen.
    Er hoppelte langsam los, beschleunigte, sprang dann in die Höhe und schraubte sich unter heftigem Flügelschlagen spiralförmig zu der verfallenen Mauerkrone empor. Leute kamen näher. Er beeilte sich und landete schließlich auf der Mauer, während er im Gegenwind der sanften Brise mit seinen ausgebreiteten schwarzen Flügeln angestrengt das Gleichgewicht hielt.
    Unmittelbar unter ihm raschelte es im Blätterwerk der Ranken. Und ein weißer Sack fiel zu Boden.

    Frank schob sich durch die Blätter und plumpste auf seinen Kissenbezug. Er setzte sich auf, blinzelte ins Sonnenlicht, nieste und schaltete die Taschenlampe aus. Dann stand er auf, lehnte seine Flinte gegen die Wand, schob das Gestrüpp mit den Händen auseinander und rief:
    »Alles klar. Penny zuerst!«
    Ein paar Augenblicke später zerrte er ein weiteres Kopfkissen hervor, legte es neben seines und zog Penny an den Handgelenken aus der Mauer.
    »Wow!«, machte sie, als sie neben Frank stand und sich umsah.
    Ein weiterer Kopfkissenbezug erblickte das Licht dieser Welt. Anastasia schlüpfte zwischen den Ranken hindurch und taumelte ein bisschen auf dem weichen, von Nadeln übersäten Boden.
    »So viel anders sieht es hier aber nicht aus«, murrte sie.
    Frank kümmerte sich nicht groß um seine Töchter. Die beiden flüsterten miteinander, während er Richard und Zeke, dann Dotty und schließlich den hinkenden Ken Simmons herauszog, der in seiner Uniform und seinem Weihnachtspullover aus allen Nähten zu platzen schien.
    Anastasia und Penny hatten ihre zusätzlichen Kleiderschichten schon ausgezogen und sie auf den Kopfkissenhaufen geworfen. Richard saß auf dem Boden und Zeke lief im Umkreis von ein paar Metern herum und betrachtete die neue Umgebung.
    »Wir hätten Zelte mitnehmen sollen«, meinte Anastasia. »Dann könnten wir so etwas wie Camping machen.«
    Penny betrachtete die hohen Tannen, die sie umgaben, und
den sanft ansteigenden Boden. »Das wäre Camping«, stellte sie fest.
    Dotty strich sich die Haare zurück und kämmte dabei ein Blatt heraus. »Versucht mal etwas leiser zu sprechen«, sagte sie. »Wir wissen doch überhaupt nicht, wo wir hier sind und wer uns vielleicht hört.«
    Frank atmete tief ein, befeuchtete seine Lippen und griff noch einmal in die von Blättern überwucherte Wand. Er hob ein paar lose Ranken in die Höhe und betrachtete die Steine und die Form der Lücke. Früher war sie eine Art Sitznische gewesen, eine Laube, und er hatte sie schon mal gesehen. Aber nur ein einziges Mal. Und das war eine Ewigkeit her.
    Während er die verfallene Mauer weiter betrachtete, ging Frank ein paar Schritte rückwärts. Er stieß mit Anastasia zusammen, blieb aber nicht stehen. Die Mauer hatte sich ein bisschen verändert. Oder vielleicht auch ziemlich. Er konnte es nicht genau sagen. Dieser Ort hier war ihm seit so langer Zeit so lebhaft in Erinnerung, dass es ihm schwerfiel, die Erinnerung daran mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Im Lauf der Jahre hatte er sich Sachen dazugedacht und geglaubt, seine Vorstellung sei seine Erinnerung. Damals war ihm alles so groß vorgekommen. Eine versteckte Lücke in der verfallenen Wand eines Tempels, der einstmals den Zauberern gehört hatte, der nun aber schon seit Langem eingestürzt war. Das Gestrüpp war dichter geworden und hatte die gesamte Ruine überwuchert. Aber es war derselbe Ort.
    Frank schloss die Augen und sah wieder Dottys Vater auf die Mauer zugehen. Er konnte sehen, wie er seinen Fuß in die Lücke setzte. Er erinnerte sich, dass er abgewartet hatte. Und
dass er ihm dann gefolgt war. Durch die Lücke geschlüpft und in einem merkwürdigen Schlafzimmer gelandet war. Und dass er danach sein Leben in Kansas verbracht hatte.
    Sein Schwiegervater hatte ihn belogen. Nicht, dass ihn das überrascht hätte. Aber warum hatte er gesagt, dass die Verbindung

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