Fluch der 100 Pforten
nicht zu ziepen.
Caleb schob seinen Bogen durch einen Riemen, der am Sattel befestigt war, wandte sich dann um und näherte sich dem Brunnen. Noch bevor er ihn erreicht hatte, blieb er stehen und verschränkte die Arme.
»Ruf deine Vögel«, erklang Magdalenes Stimme.
Henrietta zuckte zusammen, und Chester machte einen Schritt zurück und scharrte mit dem Vorderhuf über den Boden.
»Entschuldigung«, flüsterte Henrietta und streichelte den Hals des Pferdes.
Caleb sah sich nicht um. »Warum sollte ich sie rufen?«, fragte er.
»Sie sind über unserem Land«, entgegnete die Stimme. »Ruf sie!«
»Hängst du immer noch an diesen toten Tälern?« Calebs Stimme klang ungerührt.
»Sie hängen noch an mir.«
Caleb schwieg einen Moment. Dann breitete er seine Arme aus. »Zeige dich, und die Vögel werden herabsteigen.«
Henrietta blinzelte. So steif, wie sie mit den Gartenhandschuhen im Schoß zu Hause gethront hatte, saß Magdalene auf dem Brunnenrand. Zu je einer Seite von ihr standen Benjamin und Joseph und mit ihnen noch zehn andere ihrer Art. Kurze Schwerter steckten in ihren breiten Gürteln. Und ein paar hatten ebenfalls Bogen.
Magdalene lächelte. Sie würdigte Henrietta keines Blickes.
Caleb hob den rechten Arm und streckte ihn von sich. Ein großer Vogel schwebte über Henrietta herab, flatterte und ließ sich auf Calebs Handschuh nieder. Der Rücken des Vogels war schwarz, seine Beine, die Brust und der Hals waren weiß. Er drehte den Kopf, beäugte Henrietta und gleichzeitig auch Magdalene. Eine schwarze Linie, die bis zu seinem schwarzen Schnabel hinunterlief, umrandete seine goldenen Augen.
Henrietta betrachtete ihn noch, als ein zweiter Vogel herbeigeflogen kam und zu Calebs Füßen auf dem Boden landete. Ein weiterer ließ sich oben auf dem Brunnen nieder, tauchte seinen Kopf in die Wasserschüssel und ließ die Tropfen über seinen Rücken rinnen. Noch zwei andere Vögel landeten auf dem Platz, bevor Magdalene schließlich zu sprechen begann.
»Du hast eine Person in deine Gewalt gebracht, die uns gehört«, sagte sie.
Caleb lachte. »Sofern du von deinem Bruder Eli sprichst – den gebe ich dir mit Freuden zurück. Er müsste bereits in einem Sack stecken und auf dem Weg hierher sein.«
»Wir haben keinen Bruder.« Magdalenes Stimme klang kühl. »Wir sprechen von dem Mädchen.«
»Von dem Mädchen?« Caleb warf Henrietta über seine Schulter hinweg einen Blick zu. Er bewegte den Arm und der schwarze Vogel flog auf und gesellte sich zu seinem Bruder im Brunnen. »Was für ein Besitzrecht hast du an dem Mädchen?«
»Sie ist in den Kleinen Saal auf FitzFaeren eingedrungen. Ihr Großvater hat verschiedene Talismane der FitzFaeren gestohlen, die wir jetzt dringend benötigen. Bis zu deren Rückgabe muss das Mädchen festgehalten werden.«
»Ihr Großvater war das?«, fragte Caleb. Er ging zurück zu seinem Pferd, fasste Henrietta um die Hüfte und hob sie wie eine Feder herab. Er legte seine Hand auf ihre Schulter und führte sie vor die Königin.
Die Königin achtete nicht auf sie, sondern sah weiter Caleb an. Henrietta beobachtete die Züge im sonnengebräunten Gesicht der alten Frau, deren weißes Haar fest nach hinten gebunden war.
»Du kannst sehen, was ich nicht sehen kann«, sagte Caleb. »Sieh und sag mir, welches Blut in ihren Adern fließt.«
Magdalene befeuchtete sich die Lippen. Ihr Blick wanderte umher, doch Henrietta schien für sie weiterhin nicht zu existieren.
Caleb stellte sich neben die Königin und betrachtete Henrietta.
»Ich zweifle nicht an deinen Worten, Königin.« Er zog seine Handschuhe aus und rieb sich langsam das Kinn. »Ihr Großvater mag tatsächlich ohne Erlaubnis Dinge an sich genommen haben. Aber siehst du nicht auch anderes Blut? Das Erbe ihres Vaters, das in ihr fortlebt?«
»Behalte sie«, sagte Magdalene eilig. »Um ihres Vaters willen. Auch wenn sie ein Eindringling ist.«
Henrietta wollte das alles erklärt bekommen. Was hatte ihr Vater mit dieser Sache zu tun? Aber Caleb trat wieder zu ihr und brachte sie zu seinem Pferd. Er öffnete einen Beutel, den er an der Seite trug, und holte ein kleines Stück braunen Kandiszucker heraus. Das legte er Henrietta auf die Hand, nickte dem mächtigen Pferd zu und wandte sich wieder um.
»Dann sag mir, Königin«, begann er, »sag mir, warum du meiner Schwester Hyazinth einen Traum geschickt hast, um mich hierher zu holen. Ich habe Wege bereist, die man am besten unberührt lässt, und gerade jetzt
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