Fluch der Leidenschaft
aufgetragen, und die Gespräche wandten sich dem unverfänglichen Thema der erfolgreichen Jagd zu. Sie hatten zwei Rehböcke und etwas Kleinwild zur Strecke gebracht. Während die Musikanten aufspielten, berichteten die Männer schwelgerisch und gestenreich von der Hatz, erörterten das Können der Falken und lobten die Ausdauer der Hunde.
Es war alles, wie es noch vor einigen Tagen gewesen war, und doch ganz anders.
Melancholie erfasste Imogen, sie musste gegen die Tränen ankämpfen.
Immer wieder blickte sie auf und wollte mit ihrem Vater sprechen, aber er war nicht da; an seinem Platz saß ein Fremder. Sie wartete darauf, Tante Constance’ Stimme zu hören, doch die einzigen weiblichen Stimmen waren die von Bediensteten.
Plötzlich stand FitzRoger so abrupt auf, dass Imogen beinahe erschrak. Ihr erster, entsetzter Gedanke war, er werde sie jetzt nach oben bringen und die Ehe vollziehen. Doch er ging zu den Musikanten, lieh sich eine Harfe aus und stellte einen Hocker in die Mitte des Raums.
Die Gespräche verstummten, alle Blicke waren auf ihn gerichtet.
Er setzte sich und probierte das Instrument aus. Dann blickte er beinahe fröhlich in die Runde. »Ihr Schurken erwartet natürlich immer dasselbe, aber heute Abend singe ich für meine Braut.«
Seine Stimme war nicht außergewöhnlich, aber er traf die Töne, und zum allgemeinen Erstaunen schien er ein Lied eigens für sie erdacht zu haben.
Ein Schatz ohnegleichen ist meine Lady,
Auf Rosen gebettet, spielt sie mit Turteltauben,
Trinkt Honigtau, isst süßes Brot,
Meine Lady, die Blume des Westens.
Leicht schreitet sie über sanften Grund,
Singt fein von schönsten Dingen,
Weint Tränen der Freude, berührt mein Herz,
Ein herrlicher Schatz ist sie mir.
Der ganze Saal bedachte diesen gefühlvollen Vortrag mit Applaus. Imogen wunderte sich, dass er sich auch auf solche Dinge verstand, und fragte sich, ob er das Lied von einem fahrenden Sänger hatte komponieren lassen.
Die erste und letzte Zeile waren ihrer Aufmerksamkeit jedoch nicht entgangen.
Schatz. Immer der Schatz.
FitzRoger stand auf und verbeugte sich.
Sie lächelte vielsagend und ging dann zu ihm. »Du singst für uns?«, fragte er mit einer Andeutung von Argwohn in der Stimme.
»Ich werde fein singen, und nur von schönsten Dingen, Mylord.«
Er gab ihr zögernd die Harfe, küsste dabei jedoch ihre Hand, was sie ein wenig beunruhigte.
Imogen nahm auf dem Hocker Platz und sammelte sich. Mit ihrem Vater und den Musikern, von denen sie unterrichtet worden war, hatte sie oft lange improvisierte Lieder erfunden.
Für Stegreifdichtung hatte sie ein Talent.
Mit dem ersten Harfenton gab sie bekannt: »Ich spiele für meinen Gemahl.«
Der Schatz von Carrisford ward mutig gerettet,
So bleibt sie für immer in ihrem Heim.
Nahrung, Führung, ein Herz für die Menschen,
Mit denen sie Süßbrot und Honigtau teilt.
Ich besinge den Mut von Tyron FitzRoger,
Besing seine Ehre und seinen Beistand,
Weine Tränen der Freude, mein Herz ist berührt,
Ein Schatz, der bleibt, wohin er gehört.
Sie hätte schwören können, als Reaktion auf ihre letzte Zeile ein humorvolles Blitzen in seinen Augen zu sehen.
»Sehr schön!«, erklärte Henry, »und eine wunderbare Stimme. Kommt, Lady Imogen, jetzt, wo Ihr Eurer Pflicht Genüge getan habt, singt doch noch ein Lied für uns.«
»Ich habe es nicht aus Pflichtgefühl getan, Sire, es war mir ein Vergnügen.« Imogen kam seiner Bitte nach und stimmte eine Weise über die Ritter Karls des Großen an, ein Stück aus der Provençe, das durch Eleganz bestach, anstatt Kriegs- und Heldentaten zu rühmen. Erst als sie von den zwölf Paladinen des großen Königs und ihren Abenteuern mit der schönen Prinzessin Angelica sang, fragte sie sich, weshalb ihr ausgerechnet dieses Lied in den Sinn gekommen war. Sie blickte auf ihren Paladin, der offenbar gerade tief in Gedanken versunken war.
Weshalb? Die Gesellschaft schien an ihrem Vortrag Gefallen zu finden, und sie wusste, dass ihr Gemahl zumindest in dieser Hinsicht zufrieden mit ihr sein konnte.
Sie setzte sich wieder zu ihm.
»Du singst sehr schön«, sagte er. »Zweifellos das Ergebnis langer Jahre teuren Unterrichts.«
Imogen reckte das Kinn. »Und vieler Jahre ausdauernder Übung, Mylord. In denen Ihr Euch sicher anderen Dingen widmen musstet.«
»Ja. Viele Jahre ausdauernder Übung. Habe ich spöttisch geklungen? Dann bitte ich um Entschuldigung. Das ist nur der Neid. Ich hoffe, Ihr werdet ab und zu
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